Trugschluss
liegt der
Fall in Blaubeuren doch um einiges anders«, wiegelte Häberle ab, obwohl er
insgeheim einen Zusammenhang befürchtete, »da ist einer rein und hat Geld
gesucht. Oder sonst was.«
»Und warum bittschön tut er das, obwohl im
Wohnzimmer Licht gebrannt hat, obwohl mein Auto vor der Tür steht? Warum legt
er die Hauptsicherung um, flüchtet aus dem Haus und wirft die Fensterscheibe
ein?«
Häberle zögerte einen Moment. »Das sieht
tatsächlich merkwürdig aus.« Dann versprach er, sich gleich morgen früh der
Angelegenheit anzunehmen und den Journalisten auf dem Laufenden zu halten.
48
Montag, 1. Dezember 2003.
Sander hatte kaum ein Auge zugetan. Ihm war mit einem Mal klar
geworden, dass er auch eingeschüchtert werden sollte. Nach dem Frühstück, das
ihm an diesem Montagmorgen nicht schmeckte, rief er in der Redaktion an. Der
Sekretärin teilte er mit, dass er ›in der Sache‹ weiter recherchieren müsse. »Die
Sache«, um die es ging, stand ja ausführlich auf der lokalen Titelseite.
Der Journalist wollte sich bei Häberle
nicht erst umständlich anmelden, sondern suchte ihn gleich kurz nach neun im
Backstein-Gebäude der Kriminalaußenstelle auf. Schließlich war er jetzt nicht
nur Zeitungsmann, sondern Zeuge und Geschädigter. Nachdem er an der
Sprechanlage seinen Namen genannt hatte, wurde er sofort eingelassen. Häberle
sei da, sagte die Dame im Sekretariat. Sander fand ihn in dem kleinen
Besprechungszimmer, das er längst kannte. Dort saß der Ermittler mit Linkohr
zusammen und diskutierte über verschiedene Protokolle, die ausgebreitet auf dem
weißen Tisch lagen.
Der Journalist entschuldigte sich für sein
unangekündigtes Auftauchen. Doch Häberle grinste: »Was heißt unangekündigt? Mit
Ihnen hab ich schon den ganzen Morgen gerechnet. Aber Journalisten sind halt
keine Frühaufsteher.«
»Hier herrscht ja geschäftiges Treiben«,
stellte Sander fest, während er sich zu den Kriminalisten setzte.
»Herrscht bei uns immer«, frotzelte der
Kommissar, »aber wenn sie’s vorläufig für sich behalten, kann ich ihnen sagen,
dass es seit gestern eine Sonderkommission gibt.«
Die Überraschung saß. Dem Journalisten
wurde sofort klar, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet haben musste.
Nachdem er Häberle geschworen hatte, dies erst zu verwerten, wenn nachmittags
die Pressestelle ihre Verlautbarungen verfasst haben würde, schilderte der
Ermittler, was seit gestern geschehen war. Bei vertraulichen Gesprächen dieser
Art schrieb Sander nichts mit.
Dann berichtete er selbst, was er erlebt
hatte.
»Da haut’s dir’s Blech weg«, kommentierte
Linkohr, dem die allgemeine Verschwörungstheorie immer mehr zusagte. Häberle
nahm den Telefonhörer, drückte eine Taste und bat seinen Gesprächspartner, von
der Ulmer Polizeidirektion die Meldung zu besagtem Unfall zu besorgen.
Wenig später lag sie vor. Häberle überflog
sie und stellte fest: »Der Tödliche von der Samstagnacht. Kirchner heißt er
doch, oder?« Er blickte auf und sah, dass Sander nickte, »ist gegen 1.50 Uhr
auf der Straße zwischen Machtolsheim und Berghülen auf Grund überhöhter
Geschwindigkeit auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern geraten und mit der
linken Breitseite links gegen einen Baum geprallt. Fremdverschulden wird
ausgeschlossen.«
Häberle legte das Blatt Papier beiseite. »Das
sagt uns nicht allzu viel«, stellte er fest.
Der Journalist zeigte sich zerknirscht,
obwohl er natürlich nicht mehr erwartet hatte. »Damit dürfen sie’s aber nicht
bewenden lassen«, meinte er, »schließlich war Kirchner kein Gewöhnlicher.«
»Bester Herr Sander«, entgegnete Häberle, »bei
allem Wohlwollen, aber ich werd nicht anzweifeln, was die Ulmer Kollegen
festgestellt haben. Wenn die auch nur den geringsten Zweifel hätten, wäre
sofort ermittelt worden. Aber dies …« er deutete auf das Fax, »dies ist ein
Unfall, wie er an Wochenenden landauf, landab passiert. Leider.«
Sander beschloss, die Angehörigen des
Verunglückten aufzusuchen – und mochte dies zu diesem Zeitpunkt noch so
pietätlos sein. Vielleicht waren diese sogar froh, wenn sich jemand dieser
Sache ernsthaft annahm.
Brobeil war an diesem Morgen von seinem Wohnort Ehingen wieder auf
die Alb geeilt – in die Werkstatt Willings, wohin auch Steinbach zu kommen
versprochen hatte. Das plötzliche Verschwinden Blühms hatte sie entsetzt.
Willing, übernächtigt und fahl im Gesicht,
führte seine Gäste durch die schummrig beleuchtete Werkstatt
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