Trugschluss
isch ein Auto von dort tagelang hier g’wese. Man
isch mit dem Mann auch gar nicht ins Gespräch komme. Er wollte mit uns Schwabe
nix zu tun habe. Er wird auch nicht hier beerdigt, hat’s g’heiße.«
»Wie lange hat er schon hier gewohnt?«
»Vielleicht fünf, sechs Jahr, höchstens.«
»Und gearbeitet hat er auf dem
Truppenübungsgelände?«, hakte Sander nach.
»Ja, das stimmt. Aber wisset Se, was da
g’schieht, erfährt hier keiner. Alles geheim, streng geheim. Auch jetzt noch.
Früher war das noch viel schlimmer.«
»War er denn Soldat?«
Die Frau schüttelte heftig den Kopf. »Nein,
bestimmt nicht. Er war Wissenschaftler, des isch bekannt. Nur einmal hat er
etwas dazu g’sagt. Silvester vor zwei Jahren. Da sind wir in der Nacht zufällig
gleichzeitig heim’ komme, wir und er. Da haben wir in der Garage noch Sekt
trunke und aufs neue Jahr ang’stoße.«
»Was hat er dabei dann erzählt?«, wollte
der Journalist wissen.
»Dass er stolz sei, an einem
›weltbewegenden Projekt‹ mitzuarbeiten. Ja, er hat ›weltbewegend‹ g’sagt. Aber
ich glaub, das hat er hinterher gleich wieder bedauert. Seitdem isch er uns
eher aus’m Weg gange.«
»Besuch hat er nie gekriegt?«
Die Frau überlegte. »Selten. Wenn man von
diesem schwarzen BMW absieht.«
»Welcher BMW?«
»Mit Stuttgarter Nummer«, erzählte sie
eifrig weiter, »mehr als an das ›S‹ kann ich mich aber nicht entsinnen. Der war
in den vergangenen Monaten öfters mal abends ein paar Stunden da. Ein Pärchen
isch damit komme – die Frau wesentlich jünger als der Mann.«
Häberle und Linkohr hatten sich von der ersten Verwunderung erholt
und waren bei diesem Schmuddelwetter ins sogenannte ›Täle‹ gefahren, von
Geislingen auf der B 466 hinaus in Richtung Autobahn. Unterwegs in Deggingen
bogen sie am Ortsausgang rechts ab, um in der ruhigen Wohngegend Bruno Blühms
Haus zu suchen. Die Adresse führte zum einzigen mehrstöckigen Gebäude, das aus
der ansonsten kleingliedrigen Siedlung herausragte.
Im dritten Obergeschoss, das die beiden
Kriminalisten durch ein dunkles Treppenhaus erreichten, öffnete eine schlanke
Frau. Es war Elisabeth Blühm, deren Gesicht von den Ereignissen der vergangenen
Tage gezeichnet schien.
»Danke, dass Sie kommen«, sagte sie und
führte die Kriminalisten in ein großzügig gestaltetes Wohnzimmer, dessen
Fensterfront den Blick auf die gegenüberliegende Talseite freigab, wo sich
dicker Nebel gebildet hatte.
Eine Winkelcouch aus schwarzem Leder
dominierte den Raum, der von einer eichenen Regalwand umgeben war, auf der
unzählige Bücher standen. Die Männer nahmen auf der Couch Platz, während sich
die etwa 60-jährige Frau, die ein schlichtes wadenlanges Kleid trug, in einen
großen Sessel sinken ließ.
»Sie kommen, um mir zu sagen, dass er sich
noch immer nicht gemeldet hat«, sagte sie resignierend und legte ihre Arme auf
die Lehnen.
Häberle gab sich einfühlsam. »Wir hätten
Ihnen gerne eine positive Nachricht mitgebracht. Aber wir hoffen.«
»Mich zermürbt es«, stellte die Frau
traurig fest, »ihm ist etwas zugestoßen. Sonst würde er sich melden.«
»Manchmal gibt es Motive, die man zunächst
nicht nachvollziehen kann«, erklärte der Kommissar vorsichtig. »Es gibt
Menschen, die einfach mal …« Er rang nach Worten, »ja, die mal aussteigen
wollen.«
Sie schwieg, als habe sie die Worte nicht
begriffen.
Erst als Häberle ihr miteilte, dass man
das Auto gefunden habe, unversehrt und ohne Hinweise auf ein Verbrechen, nahm
sie an dem Gespräch wieder teil.
»In Hohenstadt sagen Sie«, wiederholte sie
ungläubig.
Häberle nickte, während Linkohr seinen
Blick durch das große Wohnzimmer schweifen ließ. An einer Wandfläche, die von
Regalen umgeben war, hing ein pastellfarbenes Bild, das im Vordergrund ein
typisches Kirchlein aus dem Tessin zeigte.
»Bei Willing?«, fragte die Frau plötzlich.
Häberle ließ sich seine Verwunderung nicht
anmerken. »Nein«, antwortete er deshalb ungerührt, »bei der Funkstation.« Auch
Linkohr war hellhörig geworden.
»Eine Frage«, machte Häberle vorsichtig
weiter, »haben Sie im Kofferraum hin und wieder etwas transportiert?«
Frau Blühm stutzte. »Natürlich haben wir
das. Getränkekisten. Warum fragen Sie?«
Häberle ging nicht darauf ein. »War der
Kofferraum leer?«
»Ja natürlich«, antwortete die Frau
verwundert, »nur das Warndreieck war drin.«
»Sonst nichts?«, vergewisserte sich
Häberle.
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte die
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