Trugschluss
Frau,
die ihre Augen zusammenkniff und die beiden Männer fragend anschaute.
»Angenommen, da wären Nummernschilder drin
gewesen – das hätten Sie bemerkt?«
»Aber ganz sicher«, bestätigte sie.
Bevor sie etwas fragen konnte, wechselte
der Ermittler das Thema. »Diese Bedrohungen, die es gegeben hat – wann hat das
angefangen?«
Sie überlegte. »Vor einem halben Jahr
vielleicht. Zuerst waren es Anrufe, ein Mann. Bruno hat aber immer sofort
aufgelegt. Ich dann auch. Aber einmal hat mir der Anrufer gesagt, Bruno soll die
Finger von Dingen lassen, die ihn nichts angingen. Ich hab gefragt, was damit
gemeint sei, doch dann hat er aufgelegt. Und Bruno hatte angeblich auch keine
Ahnung, worum es ging.«
»Aber angezeigt haben Sie dies nicht«,
stellte Linkohr beiläufig fest.
»Nein. Bruno hat das gar nicht so ernst
genommen. Seien wohl dumme Jungs, hat er mal gesagt. Obwohl später dann Zettel
im Briefkasten gesteckt sind – mit weiteren Drohungen. Er solle seine
schmutzigen Finger raushalten, sonst werde er zu spüren kriegen, wie ernst
man’s meine.«
»Gibt’s die Zettel noch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Bruno hat sie
weggeworfen. Das hat ihn alles nicht beeindruckt.«
»Als dann aber der Autoreifen zerstochen
wurde, war das anders«, meinte Häberle. Er kannte diesen Fall aus den Akten.
»Ja, das hatte eine andere Qualität. Er
hat es dem Ortspolizisten gemeldet.«
»Und dann war das Auto über Nacht
plötzlich weg«, versuchte Häberle in der Chronologie fortzufahren.
»Ja – hier vor dem Haus, die Nacht zum
Dienstag war’s, glaube ich.« Sie überlegte. »Das muss mit den Drohungen
zusammenhängen, Herr Kommissar. Denn wer klaut sonst schon so einen uralten
Passat?« Häberle wollte nicht widersprechen. Er bat, noch einen Blick in Bruno
Blühms Arbeitszimmer werfen zu dürfen. Die Frau führte die beiden Kriminalisten
über den Flur und öffnete eine Tür. Das Zimmer, das sich vor ihnen auftat, war
ziemlich geräumig. An der Wand seitlich des Fensters stand ein großer
Schreibtisch aus hellem Holz, darauf ein Flachbildschirm samt Tastatur sowie
bunte, aufeinander gestapelte Ablagefächer, in denen unzählige Papiere lagen.
Der schwarze Bürosessel war ordentlich an den Schreibtisch geschoben.
»Hier hat er nächtelang gearbeitet«,
berichtete die Frau, die unter dem Türrahmen stehengeblieben war, während die
beiden Kriminalisten feststellten, dass sich unter dem Tisch zwei Rechner
befanden, die offenbar miteinander vernetzt waren.
»Gestatten Sie, dass sich unsere
EDV-Experten mal mit dem Gerät auseinander setzen? Vielleicht finden sich
Hinweise, die uns weiterhelfen können«, sagte Häberle und wandte sich der Frau
zu. Diese nickte eifrig. »Selbstverständlich können Sie das tun.«
»Danke«, lächelte Häberle, »das
erleichtert unsere Arbeit.«
Linkohr hatte unterdessen einige der
Blätter aus den Ablagekästen genommen. »Hat Ihr Mann auch Kontakte in die
Schweiz?«, fragte er, nachdem er ein absenderloses Kuvert gesehen hatte, das in
Lugano abgestempelt war.
»Er pflegt Kontakte nach überallhin,
müssen Sie wissen. Seit er pensioniert ist, hat er begonnen, wissenschaftlich
zu arbeiten – gemeinsam mit alten Freunden. Mein Mann ist leidenschaftlicher
Physiker.«
Der Kommissar wagte eine Frage, die ihm
schon lange auf den Nägeln brannte: »Und dass er einfach ein neues Leben
anfangen wollte, gemeinsam mit …« Häberle überlegte, wie er es sagen sollte, »…
gemeinsam mit neuen Freunden, das schließen Sie aus?«
Die Frau holte tief Luft. »Was kann man
schon ausschließen? Was kann man ausschließen, wenn ein Mann in seinem Alter
feststellt, dass er gerne Wissenschaftler gewesen wäre – mit seinem Können?!«
Das jedenfalls war keine eindeutige Antwort, stellte der Ermittler insgeheim
fest.
Der Mann mit der randlosen Brille, sportlich und braungebrannt,
als käme er geradewegs aus dem Süden, strahlte Zuversicht aus.
»Ihre Mission ist damit beendet«, lächelte
er. Die paar Worte reichten, um ihn als Amerikaner zu identifizieren, der sein
Deutsch offenbar in der Schweiz gelernt hatte. Sein ausgedünntes blondes Haar,
das gräulich schimmerte, war korrekt gescheitelt. »Meine lieben Freunde«, sagte
er und schaute seinen beiden Gästen in die Augen, »Sie haben über Jahre hinweg
sehr gute Arbeit geleistet. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben Ihnen
viel zu verdanken.«
Er hatte sich sogar erhoben, um die
Bedeutung dieser Worte zu unterstreichen. Vor ihm
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