Trugschluss
in der kommunalpolitischen
Szene zwischen Ulm und Stuttgart für Aufsehen gesorgt. Auch überregionale
Zeitungen berichteten über den Fall, ohne jedoch irgendwelche Zusammenhänge zu
anderen Vorkommnissen zu erwähnen. Der Geislinger Journalist Georg Sander war
in seinem Artikel auf dringende Bitte Häberles nicht auf Details eingegangen,
obwohl er aufgrund eigener Recherchen längst wusste, dass es kein gewöhnlicher
Vermisstenfall sein würde. Auch im eigenen Interesse hielt er sich an die
Anweisungen des Kommissars, vorläufig zurückhaltend zu berichten. Häberle
versprach ihm dafür, ihn ständig über die Ermittlungen auf dem Laufenden zu
halten.
Die Sonderkommission wühlte sich durch
eine Vielzahl von Akten und Papieren, die in Blühms privatem Büro
sichergestellt worden waren und von deren Inhalten man sich Hinweise auf seine
Tätigkeiten versprach. EDV-Experten des Landeskriminalamts machten sich über
die beiden Computer her, doch stellte sich schnell heraus, dass die Festplatten
formatiert worden waren, es also so gut wie keine Daten gab. Seltsamerweise, so
stellten die Beamten fest, hatte Blühm offenbar auch nichts auf Disketten, CD’s
oder Flashsticks gespeichert. Jedenfalls fanden sich im gesamten Haus keine
Datenträger. Blühms Frau war auch keine Hilfe. Das Einzige, was sie beisteuern
konnte, waren Hinweise auf viele Telefonate ihres Mannes. Er sei oftmals mitten
in der Nacht angerufen worden und habe dann stundenlange Gespräche geführt –
über Dinge, von denen sie überhaupt nichts verstanden habe, gab sie zu
Protokoll. Schließlich sei sie mal Erzieherin gewesen und nicht mit Physik und
all der Technik vertraut, die im Leben ihres Mannes plötzlich einen breiten
Raum eingenommen habe. Seit zwei, drei Jahren, also bereits vor seiner
Pensionierung, sei er immer unruhiger geworden und habe sich immer häufiger
nächtelang in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Man habe sich völlig
auseinander gelebt.
Die Sonderkommission hatte sich von der
Telekom die Verbindungen auflisten lassen, die von Blühms Festnetz-Apparat aus
in den vergangenen zwei Monaten geführt worden waren. Linkohr oblag es, die
langen Ausdrucke zu bearbeiten. Blühm war tatsächlich ein ausgiebiger
Telefonierer. Gespräche dauerten nicht selten viele Stunden. Die Rechnung
musste enorm gewesen sein, dachte sich der junge Kriminalist, dem sogleich
einige Nummern auffielen, die meist täglich und dann oft sogar mehrfach
angewählt worden waren. Es war die Schweizer Landesvorwahl. Auch die
Ortskennziffer war stets dieselbe. Linkohr fand schnell heraus, dass es sich um
die Vorwahl von Lugano handelte. Er ließ feststellen, wem die unterschiedlichen
Anschlüsse gehörten, mit denen Blühm dort so oft telefoniert hatte – zuletzt
noch kurz bevor er zu der freitäglichen Kreistagssitzung gegangen war, aus der
er dann spurlos verschwand.
Mit seinem Handy, das er bei sich hatte,
waren die Ermittler bereits vor einigen Tagen weiter gekommen. Damit stand
fest, dass er im Sitzungssaal des Kreistags gar keinen Anruf erhalten, sondern
nur so getan hatte, als müsse er zum Telefonieren hinausgehen. Linkohr konnte
jetzt aber anhand der Ausdrucke der Telefongesellschaft Vodafone auch erkennen,
wann Blühm mit dem Handy zuletzt telefoniert hat: Offenbar kurz vor Beginn der
Sitzung – mit der Göppinger Taxizentrale, genau 38,4 Sekunden lang.
»Da haut’s dir’s Blech weg«, kommentierte
Linkohr diese Erkenntnis, »da hat er seinen Abflug vorbereitet.« Häberle, der
in das kleine Büro seines jungen Kollegen gekommen war und ihm gegenüber saß,
nickte angespannt: »Dann soll uns die Taxizentrale einfach mal sagen, welchen Auftrag
sie erhalten hat. Ich hoffe doch, dass die ordentlich Buch führen.« Linkohr
versprach, dies zu veranlassen.
Kommissar Häberle war verärgert aus der
Besprechung mit dem Geislinger Revierleiter Manfred Watzlaff zurückgekommen.
Eine Anweisung des Innenministeriums, die ihnen über den Göppinger Chef Bruhn
weitergegeben worden war, hatte sie beide ziemlich irritiert. Es gab offenbar
Erkenntnisse, wonach europaweit mit Terroranschlägen zu rechnen sein würde.
Dies bedeutete für viele Beamte Urlaubssperre an den bevorstehenden Feiertagen
– und eine personelle Verringerung der Sonderkommission. Die Beamten wurden für
Observationen sowie Personen- und Objektschutz gebraucht. Aber was Häberle noch
mehr auf die Palme gebracht hatte, war die Anweisung Bruhns, er solle noch
heute zu einem dringenden Gespräch
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