Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
Rhythmen, aggressive E-Gitarren-Soli und enragierten Videos. Musik war und blieb sein wahrer Ausdruck und so wirkte jeder Song von ihm gnadenlos authentisch. Aber der Stachel saß, wie so viele andere, tief. Ein Stachel, der ihm sagte: ‚Kein Freund für Michael. Du bist einsam. Kein Glück für dich’. Es gab keine fröhlichen Lieder von Michael. Es gab die aggressiven und es gab die melancholischen. Dazwischen gab es nichts. In seinen Lyrics war sein ganzes Leben zu finden, seine Gedanken, seine Ängste und...Hilferufe.
Ich fragte mich, wie Michael es schaffte, nach wie vor so liebevoll zu sein, mit dieser offenen Wunde namens Herz. Denn trotz all dieser Erlebnisse war er mehr denn je bereit, Liebe zu geben.
„Weil Liebe alles ist“, antwortete er mir auf meine unausgesprochene Frage. „Ich wollte vergessen und weitermachen. Damals hab ich allerdings die volle Tragweite des Skandals nicht durchschaut. Nur erahnt, ohne es wahrhaben zu wollen. Ich dachte, wenn man Erfolg hat, beschwört man einfach Neid und Eifersucht herauf, ich dachte, ich fang einfach von vorne an. Und Liebe...die Liebe, die ich innen fühlte, wollte ich nicht aufgeben. Sie war...ist mein Halt.”
Michael saß in seiner stillen Art, die ich so liebte, unter dem Baum. Oh, mein Gott, was für eine wunderbare Ausstrahlung dieser Mann hatte! Seine Augen waren geschlossen und ich sah, wie ihm einzelne Tränen unter seinen Wimpern hervorquollen. Aber es waren nur einzelne. Er war umhüllt von einer seltsamen Beherrschung, einer, die ihm verbot, sich vollständig den Tränen im Beisein eines anderen hinzugeben. Doch sein Körper zitterte und es war bestimmt nicht wegen der Kühle der Nacht. Er hatte ja schon zwei Decken um sich, während ich noch im T-Shirt herumsaß. Damit er etwas ruhiger wurde, legte ich meinen Arm um ihn. Zu meiner Überraschung ließ er den Kopf auf meine Schulter sinken und ergriff meine Hand. Diesmal war ich es, die tief ausatmete, die Druck aus dem Herzen ließ, als er sich an mich lehnte. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm solche Gesten fremd waren. Aber heute Nacht war er wieder ein Kind, ein Kind, das nicht versteht. Ein Kind, das von seinem Vater verprügelt wird und nicht weiß, wofür. Etwas, was ihm physisch in der Kindheit geschehen und in der Chandler-Situation psychisch wieder begegnet war.
„Und, Chirelle?“, flüsterte Michael. „Was denkst du?“
Ich roch den Duft seines Haares und sah sein spitzes Näschen, das den Kindcharakter so unterstrich. Sanft drückte ich ihm einen Kuss aufs Haar.
„Michael, ich glaube nicht, dass ich dir das heute Nacht sagen will“, murmelte ich.
„Ich will es aber hören, Chirelle“, sagte er fest.
Ich löste sanft meinen Arm von ihm und lächelte ihn an: „Du bist eine so wunderbare Seele, weißt du das? Du hättest nach all diesem Mist, mit deiner gesamten Vergangenheit der verbittertste Mensch dieser Erde werden können – und jeder hätte dir Recht gegeben.”
„Oh!“, rief er. „Vielleicht wäre das mal eine Maßnahme gewesen, um in der Öffentlichkeit Anerkennung zu finden?“
Ich lachte. „Ist leider gar nicht so unwahr! Aber ich finde deine Art, damit umzugehen, heroischer. Und edler.” Ich stockte.
„Na, los, Chirelle“, drängte er. „Spuck’s aus!“
„Ich glaube“, fing ich leise an. „...mit Chandler ist dir jemand begegnet, der deinem Inneren entsprochen hat.”
Er zuckte zusammen. Mit seinen riesigen Augen sah er mich an. „Denkst du das wirklich?“, fragte er gekränkt. „Diese Bösartigkeit...in meinem Inneren?“
„Nein“, antwortete ich. „Nicht so, wie du das jetzt interpretierst.”
Beunruhigt sah ich, wie Michaels Blicke gen Haus wanderten.
„Bleib hier, Mike“, bat ich ihn. „Bitte...bleib hier.”
Er seufzte, die Schultern sackten nach unten.
„Mike, du kennst meine Ansicht, dass das, was uns im Außen begegnet, Spiegel unserer Seele ist. Also... frag dich doch, was die ganze Situation gespiegelt hat: Du wurdest schlecht gemacht, erniedrigt, gedemütigt – welchem inneren Muster entspricht das? Was repräsentierte Chandler? Warum ist er ausgetickt? Ich meine, was wollte er wirklich?“
Michael schwieg, aber ich sah ihm an, dass er verstanden hatte. Sein Kopf sank nach unten.
„Du meinst...er wollte... Liebe“, wisperte er.
„Ja, das wollte er. Und Geld, klar. Er hat sie innen nicht gefunden und allen Mangel nach außen projiziert. Und dachte er könne es mit äußeren Dingen, mit Geld, heilen. Er hat
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