Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
wahnsinnig gelitten, als er sich ausgeklammert gefühlt hat. Er hat Jordy an dich verloren. Er hat alles verloren. Er hat nicht erkannt, warum das so ist. Du warst sein und er dein Schicksal. Aber er hat einen völlig falschen Weg gewählt. Und: Verstehen, warum er es getan hat, heißt nicht, dass man es gutheißen muss. Er ...ist abgedriftet, hat sich im Hass verloren, etwas, was du nicht gemacht hast. Man könnte nun sagen: Okay, vielleicht war das deine Prüfung. Dann hätte Gott doch sagen können: Klasse, bestanden! Aber ich glaube, dass diese Geschichte noch tiefer geht. Die Frage ist: wenn dir Menschen wie Evan begegnen, wenn du so gedemütigt wirst...was, lieber Man in the Mirror, hat er dir dann gespiegelt? Was hättest du ändern müssen, damit es dir nicht wieder passiert? Und...es ist dir wieder passiert...“
Gott, Michaels Augen und ihr Ausdruck waren in diesem Moment zum Niederknien schön. Ich konnte ihn nur anstarren, unfähig, meinen Blick von ihm zu lösen. Seine Ausstrahlung war so immens, so intensiv und die gesamte Zeit strömte diese lichte Energie aus jeder seiner Poren. Meine Hand bewegte sich vorsichtig zu seinem Gesicht und ich strich ihm über die so unglaublich weiche, weiße Haut.
„So ein schöner Mensch“, murmelte ich. „Du bist so ein schöner Mensch...glaub mir Mike, du bist nur den Bruchteil einer Sekunde von deinem Glück entfernt.”
Er war aufgewühlt, so aufgewühlt wie ich ihn bisher noch nie erlebt hatte. Er bat mich um Geduld. „Gib mir Zeit“, sagte er. „Ich muss nachdenken... ich muss nachdenken...gib mir Zeit.”
Wir hatten unsere Sachen zusammengepackt und gingen nun Richtung Haus. Michael in großen Schritten, als könne er es nicht erwarten, alleine zu sein. Ich kannte das Gefühl. Wie immer brachte er mich zu meiner Tür. Wie immer drehte ich mich zu ihm um. Lehnte mich gegen das Holz. Wir sahen uns an. Mein Herz war wieder mal übervoll und ich spürte schon, wie Worte sich nach oben drängten und raus wollten. Tapfer unterdrückte ich alle. Ich zwang mich, ihn anzulächeln.
„Sag mir einfach, wenn du soweit bist. Ich bin da.”
Er nickte kurz, machte hastig seinen Namaste-Gruß und ging.
Ich rechnete fest damit, dass er erstmal ein paar Tage irgendwohin untertauchen würde... bis die Fragen, die sich heraus kristallisiert hatten so pieksig waren, dass er wiederkam. Hoffentlich. Er konnte dem auch aus dem Weg gehen. Das war das, was er bisher gemacht hatte.
Wenn dem so wäre, wäre es auch für mich Zeit zu gehen.
XX / 1994
„Wenn er meint, so aus der Sache rauszukommen, hat er sich getäuscht...wieso habt ihr keine weiteren Opfer? Sucht Opfer! Er hat doch dauernd welche um sich herum. Und wenn, muss es auch ohne Opfer gehen... Setzt euch in Bewegung.“
Rätsel
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich war hundemüde, wir hatten nächtelang geredet, und auch diesmal war es früher Morgen gewesen, als wir uns getrennt hatten, aber irgendetwas ging mir im Kopf herum, besser: Es ging mir nicht im Kopf herum. Es war etwas, an was ich mich erinnern wollte und es fiel und fiel mir nicht ein. Es war etwas Wichtiges. Irgendetwas hatte ich übersehen... aber was? Hing es mit Michael zusammen? Mit dem Gespräch? Nein... es war etwas anderes gewesen...hatte ich einen Geburtstag verschwitzt...irgendwelche Formalitäten nicht erledigt...? Rastlos wälzte ich mich im Bett.
Ich fragte mich, was Michael mit der heutigen, noch ungeklärten Botschaft anfangen würde. Es gab eine so große Palette an Möglichkeiten: von Ablehnung bis hin zum Transfer auf sein restliches Leben. Ich wünschte mir sosehr, dass er all dies endlich lösen könnte...wünschte mir, dass er die zweite Hälfte seines Lebens in Glück und Zufriedenheit würde verbringen können...dass er sein Leben endlich voll und ganz genießen könnte ... und mit diesem Wunsch wurde mir schlagartig klar, was alle meinten, wenn sie sagten, es sei nicht mehr soviel Zeit. All diejenigen, die Michael schon so lange begleiteten. Grace, Karen, Jason, Bob...sie alle hatten Angst, dass er nicht mehr lange leben würde.
Und dann, am Nachmittag des nächsten Tages, fiel es mir endlich ein: Tom. Er hatte gesagt: „Ich möchte, dass du nachdenkst..., dass du nach – denkst...”
Das ließ mich nicht mehr los. Aus heiterem Himmel fing der Satz in mir an, eine Endlosschleife zu drehen.
Ich googelte Tom. Es war nichts über ihn zu finden. Kein Anwaltsbüro, klar, aber auch kein Redaktionsbüro, keine
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