Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
für mich geworden, ein Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte.
Inzwischen waren sechs Wochen ins Land gegangen und ich hatte Heimweh. Zwar war ich zwischen Indien und den USA noch mal für eine Woche zuhause gewesen, aber dennoch war ich insgesamt schon fast ein Vierteljahr unterwegs. Und je mehr Zeit ich hier in LA verbrachte, desto mehr wurde mir bewusst, was ich alles verpasste, von dem, was ich mir vorgenommen hatte.
Als Tom und ich in einer Bücherei standen, nahm ich einen Amerika-Bildband in die Hand und seufzte unwillkürlich auf.
„Mann, da wollte ich überall noch hin“, sagte ich und blätterte verdrießlich die Seiten durch. „Da hätte ich schon längst sein wollen.”
„Was hält dich ab?“, fragte er.
„Ja, was hält mich ab“, wiederholte ich mechanisch. „Schätze, es wird wirklich Zeit zu gehen.“
„Meinst du das ernst?“
„Ja, warum nicht? Ich hab hier in LA ziemlich viel unternommen – dank dir!“
„Eben! Du wirst mich vermissen!“, sagte er verschmitzt.
„Geh doch mit!“, flachste ich. „Mach mal Urlaub!“
Tom lachte.
„Urlaub! Was ist das für ein Wort!“, rief er. „Wir sind hier in busy America!“
„Na, eben drum!“, antwortete ich. „Bevor du an Herzverfettung stirbst...“
„Wo willst du denn noch hin?“, fragte er und ich konnte seinen Gesichtsausdruck und Tonfall absolut nicht deuten. Es war mehr Wärme in seiner Stimme als sonst.
„San Franzisco... Sacramento und die andere Richtung nach San Diego und rüber nach Mexiko...“
Tom sagte nichts.
„Was ist?“, hakte ich nach und knuffte ihn dann lächelnd. „Komm doch mit!“
„Ich kann nicht, das weißt du... ich hab hier zu viel zu tun...hab ein paar sehr anstrengende Fälle...“
Tom wirkte auf einmal sehr müde. Er fuhr sich mit den Händen über Gesicht und Augen. Ich sah ihn mir genauer an und merkte, dass die Innenränder seiner Augen rot waren.
„Sag mal, schläfst du denn genügend?“, fragte ich besorgt.
„Ja... klar... vier bis fünf Stunden gehen immer...“
„Klingt nach starkem Kaffee morgens. Welche Fälle hast du denn im Moment? Doch hoffentlich keinen Mordfall?“, witzelte ich.
„Nein... hoffen wir, dass es keiner wird...“, lächelte er, aber es sah fast zynisch aus und das Lächeln verschwand sofort aus seinen Augen. Etwas hektisch nahm er ein Buch vom Stapel und blätterte darin herum. Irgendetwas schien ihn schon die ganze Zeit zu belasten...immerhin hatte er einen anstrengenden Beruf - und ich doofe Kuh hatte das nicht gesehen? Wo war meine Sensibilität geblieben? In schlechtes Gewissen versunken wanderte ich durch die Büchertische und landete am Zeitungsstand. Michaels Name leuchtete in großen Lettern auf vielen Boulevardblättern:
Michael Jackson wird 50 – ein Mann kommt in die Pubertät
Michael Jackson pleite und obdachlos
Live Tour mit der Jackson-Family geplant
Michael Jackson wählt Wohnsitz neben Grundschule – Eltern beschweren sich
Zwangsversteigerung der Neverland-Ranch
Michaels Schwester Janet muss das Personal ihres Bruders bezahlen
Betroffen nahm ich die Zeitung mit der Anzeige über seine Ranch in die Hand. Sein Gesicht sah darauf unglaublich blöd aus. Und ich wusste: so sah er ganz bestimmt nicht aus.
„He, ich dachte, du interessierst dich nicht für Celebrities“, hörte ich Tom hinter mir.
„Ja, stimmt...tu ich auch nicht...aber Michael Jackson war so meine Zeit, weißt du, die 80er, Disco...Tanzen...die ersten Jungs...“ Ich verstummte.
„Es ist so schade, was man über ihn schreibt...ist das wahr mit seiner Ranch?“, fragte ich dann. Toms Augen waren düster, als er mir die Zeitung aus der Hand nahm und darauf schaute.
„Ich fürchte, ja“, sagte er und seine Stimme klang eine Nuance leiser als sonst.
„Und das mit diesen Leuten, die sich beschweren, dass Michael neben einer Grundschule wohnt...guck mal... hier steht, sie haben Angst, dass er ihre Kinder beobachten könnte, wenn sie in den Bus steigen...? Ist da eine Schule, wo er wohnt?“
Tom sah mich an. „Keine Ahnung“, sagte er und wirkte, als sei er mit seinen Gedanken woanders. Dann schien er sich zu straffen und fuhr fort:
„Aber bei Jackson ist das so eine Sache mit den Kids... ich meine... an den Vorwürfen ist sicher was dran... ganz richtig tickt der nicht, findest du nicht? Warum holt er sich kleine Jungens ins Bett?“
„Holt er sich denn welche ins Bett?“, fragte ich beklommen und ermahnte mich, verbal nicht auszurutschen.
„Ja...
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