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Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Titel: Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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hin und her.
    Es dauerte eine Zeit, bis er den Rhythmus wieder fühlen konnte. Er kam wieder rein. Aber zum ersten Mal überhaupt war er aus dieser Einheit heraus gefallen und damit sensibilisiert für die andere Seite des Lebens. Einer Seite, die ihm Angst machte, weil sie Schmerz versprach und die er von ganzem Herzen ablehnte. Aber er konnte sich ihr nicht verschließen, seine Permeabilität war zu hoch. Diese Empfindungen drangen immer in ihn ein, ob er wollte oder nicht.
    Und so begann er instinktiv nach Möglichkeiten zu suchen, sich zu schützen. Nach einem Rezept, das ihn gefahrlos durch dieses Leben ohne diesen Schmerz bringen würde.
    Seine Mutter war sein Vorbild und sie nahm Zuflucht zu etwas, das größer zu sein schien als alles andere. Sie nahm ihn immer mit in die Kirche und anfangs verstand er nicht die Worte, die dort gesprochen wurden. Aber es war erhebend, wenn die Leute sangen. Das war schön, das entsprach dem, was er so mochte und liebte. Doch seit der ersten bewussten Begegnung mit Schmerz und Angst, nahm er auch andere Regungen in der Kirche wahr: Verzweiflung, Leid, Resignation und Trauer. Und noch etwas registrierte er: Wie viel besser es den Leuten ging, wenn sie gebetet und gesungen hatten. Musik heilt, dachte er damals. Sie macht die Menschen schön. Sie lässt sie das vergessen, was sie bedrückt.
    Bald verstand er auch Worte, die in der Kirche gesprochen wurden. Es waren oft die gleichen, die seine Mutter ihm sagte.
    „Du musst ein guter Mensch sein, Michael“, ermahnte sie ihn, „ein guter Mensch. Das ist ganz wichtig. Sei immer gut zu anderen, egal, was passiert. Deine guten Taten werden gezählt und am Ende deines Lebens abgerechnet. Achte darauf, dass du ein reiner, guter Mensch bleibst. Gott sieht dich immer. Die Welt ist schlecht. Doch daran darfst du dich nicht messen. Du musst es besser machen als die anderen.“
    Du musst es besser machen als die anderen. Michael liebte sie. Er wollte allein schon ihretwegen ein guter Mensch sein. Es war ganz sicher ein Weg, dem Schmerz aus dem Weg zu gehen, ganz sicher eine Lösung, denn immerhin kam sie von Gott.
    Er hörte dies oft. Er hörte, dass es nur einige wenige geben würde, die in den Himmel kämen und er hatte Angst, nicht dazu zugehören, etwas falsch zu machen, nicht gut genug zu sein. Er durfte nichts falsch machen! Seine Mutter hatte Recht und er fand ihre These, die Welt sei schlecht, überall bestätigt. Sämtliche Variationen dieser Einstellung wurden per TV bewiesen, auf der Straße wurden die Kleineren von den Größeren verprügelt und er sah hautnah, wie sein Vater die Mutter und Geschwister behandelte. Wieso durfte ein Mensch zu einem anderen so böse sein?
    Manchmal verstand Michael die Lehren seiner Mutter nicht. Zweifel schürten sein kleines Herz. Warum schlug der Vater die Mutter, die doch so gut war? Warum wurden gerade jene Kinder draußen auf der Straße und in der Schule geprügelt, die nichts getan hatten?
    Wenn ich groß werde, so schwor er sich, wird das nicht so sein. Ich werde niemandem etwas aufzwingen und ich will nicht ohnmächtig sein. Ich werde die Welt besser machen. Ich will selbst mein Leben bestimmen.
    Seine Mutter sagte ihm, er solle nicht zu den anderen Kindern nach draußen. Das verstand er nicht. Bei Kindern fühlte er sich sicher, er hätte gern mit ihnen gespielt. Aber die Eltern verboten es. Sie wollten keinen Umgang mit anderen.
    „Ihr tragt nichts nach außen, was in der Familie geschieht“, erklärten sie. „Niemals Probleme nach außen tragen. Das verstehen die Leute nicht und es geht sie nichts an.“
    Das waren Michaels erste Image-Schulungen. Das, was nach außen sollte, war etwas anderes, als das, was man innen fühlte. Nach außen musste alles gut aussehen. Trotzdem ergab das ein Widerspruch für ihn, denn in der Gemeinde wurde Michaels Familie als komisch angesehen. Als anders. Irgendwie hatten sie nicht die Achtung der Leute, weil sie sich absonderten und Michael fühlte sich ausgegrenzt.
    „Wenn wir keinen großartigen Kontakt haben, gibt es auch keinen großartigen Streit“, sagten seine Eltern. „Ihr seid neun Geschwister, ihr habt zuhause genug Gesellschaft.”
    Aber Streit gab es – wie in jeder anderen Familie - auch. Um Geld. Um Arbeit. Um die Kinder. Und immer war es der Vater, der den Streit auslöste, weil er wegen einer Kleinigkeit ausrastete.
    Ein Einzelner konnten vielen anderen das Leben schwer machen, ein Einzelner bestimmen, wie das Leben anderer zu

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