TS 02: 220 Tage im Weltraumschiff
zehntausend Meter Höhe.
Das Überqueren des Gebirgskammes verschaffte uns einen unerwarteten und überwältigend schönen Anblick. Der bereits gewöhnte milchigweiße Nebel teilte sich plötzlich. Wir flogen zwischen zwei Wolkenbergen. Über dem Schiff wölbte sich wieder der dunkelblaue Himmel, an dem die gleißendhelle Sonne strahlte, die hier entschieden größer war, als von der Erde aus gesehen.
Unwillkürlich stießen wir Rufe des Entzückens aus, aber das in seiner Schönheit so ergreifende Bild verschwand ebenso schnell, wie es aufgetaucht war. Das Schiff flog von neuem in eine Wolke. Wieder ballte sich vor den Fensterscheiben dichter Nebel. Wir gingen tiefer. Die Berge lagen nun weiter hinter uns. Unter uns war erneut ein Ozean.
Das Schiff hatte eine Strecke von fast achttausend Kilometern zurückgelegt, als wir bemerkten, daß es dunkler wurde. Offenbar ging der Tag auf dieser Venushälfte zur Neige, und wir flogen in den Bereich der Nacht hinein.
Kamow wandte sich an die beiden Astronomen. »Wie steht es mit Ihrem Pensum?« erkundigte er sich.
»Alles erledigt!«
»Haben Sie Luftproben entnommen?«
»Ja, vier.«
Wir nahmen tatsächlich Luft von der Venus mit. In die Schiffswände sind hermetisch abgeschlossene luftleere Platinkästchen eingebaut mit kleinen Löchern, die sich elektrisch öffnen und schließen lassen. Vier dieser Kästchen sind jetzt mit Luft von der Venus gefüllt. Auf der Erde soll diese Luft analysiert werden.
»Wie sieht es bei Ihnen aus, Boris Nikolajewitsch?« fragte midi Kamow.
»Ich habe rund dreihundert Aufnahmen gemacht, die Kinofilme nicht gerechnet.«
Eine Zeitlang schwieg Kamow. Dann sagte er leise mit unterdrückter Erregung: »Das Schiff verläßt die Venus!«
Wie rasch waren diese unvergeßlichen Stunden verflogen! Ich warf einen letzten Blick auf den Planeten, den wir nun verlassen sollten.
Kamow stellte den Motor ab, der in Betrieb war, und schaltete die anderen ein. Vom Heck her ertönte mächtiges Getöse. Das Raumschiff zog die Tragflächen ein und jagte mit zunehmender Geschwindigkeit in die Höhe.
Begegnung mit einem Asteroidenbrocken
Seit fast zwei Monaten habe ich mein Tagebuch nicht angerührt. In dieser Zeit war auch nichts vorgefallen, was besonderer Erwähnung wert gewesen wäre. Das Leben an Bord ging wieder seinen ruhigen, geregelten Gang.
In dem Moment, als wir von der Venus abflogen, betrug ihre Entfernung zum Mars dreihundertsiebzig Millionen Kilometer. Da sich aber der Mars auf seiner Bahn uns entgegen bewegt, brauchte unser Schiff nur zweihundertfünfzig Millionen Kilometer zurückzulegen, um ihn zu erreichen, zeitlich also zweitausendfünfhundert Stunden oder hundertvier Tage. Vierundfünfzig davon sind bereits vergangen.
Wie ich schon erwähnte, war nichts Besonderes vorgefallen – bis auf den gestrigen Tag, den 7. November, der niemals aus unserem Gedächtnis schwinden wird. An diesem Tag ereignete sich etwas, was nach Paitschadses Worten nur alle tausend Jahre einmal vorkommen kann.
Die Begegnung, die uns beinahe das Leben gekostet hätte, fand um einundzwanzig Uhr fünfzehn statt. Ich wollte mich gerade zum Schlafen in die Kajüte begeben, als plötzlich der Automat des Funkscheinwerfers in Tätigkeit trat. Ein hämmernder Glockenton erfüllte das Raumschiff, und mein Herz krampfte sich zusammen, als mir zum Bewußtsein kam, daß Gefahr im Anzug war. Seit dem Start ertönte dieses Schreckenssignal jetzt zum ersten Male.
Blitzschnell flog Kamow an mir vorüber, zum Pult hin.
Ich folgte ihm nicht, sondern blieb dort, wo mich der Alarm überrascht hatte. Paitschadse, der sich am Fenster auf hielt, verharrte regungslos und ließ den Kommandanten nicht aus den Augen. Alle Muskeln angespannt, wartete ich auf einen Befehl, voller Bereitschaft, ihn augenblicklich auszuführen, wie immer er lauten mochte. Aber es kam kein Kommando.
Das Schiff erbebte plötzlich, und eine unsichtbare Gewalt schleuderte mich gegen die Wand. Ein fürchterliches Getöse schlug mir betäubend ans Ohr, und mich durchzuckte der Gedanke an eine Katastrophe. Aber schon begriff ich, was geschehen war: Kamow hatte unangekündigt einen der Motoren eingeschaltet. Zum ersten Male hörte ich dieses Getöse ohne Helm.
Zu unserem Glück hielt der ungeheuerliche Lärm nicht länger als fünf Sekunden an. Dann trat wieder Stille ein, und ich fühlte mich wie von einer Last befreit. Mir war schwindlig, in meinen Ohren dröhnte es noch immer, doch das konzentrierte
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