TS 02: 220 Tage im Weltraumschiff
unerbittlich dem Punkt, an dem das Raumschiff ihr begegnen soll. Wenn der Planet diesen Punkt überschritten hat, ist er nicht mehr einzuholen. Das hieße für alle der Tod. In dem müden Kopf des Mannes jagt ein Gedanke den anderen.
Aus den Motoren läßt sich noch viel herausholen. Man könnte den Flug beschleunigen und es doch noch schaffen. Hier ist der Knopf, ganz nahe … Den Scheinwerfer einschalten … Sich retten … Der Selbsterhaltungstrieb läßt die Hand nach dem rettenden Knopf greifen. Schon haben die Finger seine Fläche berührt. Nur noch ein leichter Druck … Aber Wille und Vernunft siegen.
Hat er das Recht, das Leben der Kameraden zu gefährden und den Erfolg der ersten großen kosmischen Reise aufs Spiel zu setzen, nur weil er das eigene Leben retten will? Das Raumschiff muß zur Erde zurückkehren. Und es wird zurückkehren.
Kamow läßt entschlossen die ausgestreckte Hand sinken.
Fern am Horizont, in der Richtung, die das Raumschiff beim Abflug zur Erde einschlagen muß, taucht ein kurzer roter Strich auf, der langsam emporzusteigen scheint. Schon hat er sich in einen Punkt verwandelt, wird immer kleiner und verliert sich unmerklich aus den Augen.
Das ist die Feuerspur hinter dem Heck des Weltraumschiffes, das sich vom Mars entfernt.
Kamow schließt die Augen.
**
*
Der Geländewagen folgte langsam seiner alten Spur. Den Geländewagen wollte er neben dem Obelisk aufstellen, dann fände die nächste Expedition ihn sofort. Und darin würde man auch den Brief entdecken, den er, Kamow, vor seinem Tode verfaßt.
Der nächste Flug zum Mars würde voraussichtlich in zwei, drei Jahren stattfinden. Der Wagen dürfte diese Zeit in dem trockenen Klima gut überstehen. Man brauchte dann nur die Akkumulatoren auszuwechseln und konnte ihn wieder benutzen.
Kamow schaltete ab und zu den Scheinwerfer ein, um zu kontrollieren, ob er richtigen Kurs hielt. Er bediente sich des Lichtes nicht allzu oft, da er befürchtete, in der Nähe herumstreifende Tiere anzulocken.
Er fuhr langsam, zur Eile bestand kein Grund, bis zum Sonnenaufgang war es noch weit. Mit dem Vorrat an komprimiertem Sauerstoff in den Behältern kam Kamow mindestens zwei Wochen aus. Die Energie der Akkumulatoren würde bei ununterbrochener schnellster Fahrt vierzig Stunden reichen. Nahrungsmittel konnte er sich aus Hapgoods Raumschiff holen, vorausgesetzt, daß er es fand.
Im amerikanischen Schiff mußte auch Papier zu finden sein. Arbeit hatte er genug für die Zeit, die ihm noch blieb. Er konnte und mußte die Betrachtungen und Berechnungen niederschreiben, die er in bezug auf Weltraumflüge angestellt hatte.
In Hapgoods Schiff gab es natürlich auch Sauerstoff. Wenn Kamow wollte, konnte er sich weit länger als zwei Wochen am Leben erhalten.
Jedem Menschen auf der Erde, der in eine scheinbar aussichtslose Lage gerät, bleibt trotzdem die Hoffnung, daß ihm der Zufall andere Menschen zuführt, die ihm helfen. Er muß bis zum Letzten um sein Leben kämpfen. Kamow aber hatte absolut nichts, worauf er hoffen durfte. Niemand konnte ihm zu Hilfe kommen. Er war allein auf einem fremden Planet. Die Erde war weit von ihm entfernt, unvorstellbar weit. Das Raumschiff wird sie in anderthalb Monaten erreichen. Selbst wenn es dann unverzüglich zurückflog – was an und für sich völlig unmöglich war –, würde es doch erst nach vier Monaten wieder auf dem Mars eintreffen. So lange reichte der Sauerstoff im amerikanischen Schiff nicht aus. Daß es vernünftige Wesen auf dem Mars gab, war ausgeschlossen, und gar Hilfe von sonstwoher zu erhoffen, einfach unsinnig.
Systematisch durchdachte Kamow alle Möglichkeiten zu seiner Rettung, weil er sich überzeugen wollte, daß es nicht einmal theoretisch eine Möglichkeit gab.
Das amerikanische Raumschiff! Auf den ersten Blick der leichteste Weg zur Rettung. Nichts einfacher als das – einsteigen und zur Erde fliegen. So würde zweifellos jeder denken, der nicht mit der Steuertechnik kosmischer Schiffe vertraut ist und wenig Ahnung von Weltraumnavigation hat. In den unermeßlichen Weiten, über die sich das Sonnensystem erstreckt, sind Erde und Mars winzige Pünktchen. Will man von einem dieser Punkte zum andern gelangen, so muß man den kaum spürbaren Einflüssen, die von beiden Planeten, der Sonne und selbst anderen Planeten, insbesondere dem Jupiter, auf das Raumschiff ausgeübt werden, peinlichst Rechnung tragen. Der Kommandant eines Weltraumschiffes muß sein Schiff genau kennen, er
Weitere Kostenlose Bücher