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TS 21: Die Überlebenden

TS 21: Die Überlebenden

Titel: TS 21: Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. McIntosh
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Sie doch noch ein Stück mitnehmen, Ginette.“
    Mir fiel ein, daß ich gar nicht wußte, wohin sie sich in England wenden sollte.
    „Sie wollen doch nach Rutland“, stellte sie fest, ohne ihr eigenes Ziel zu verraten.
    Dover befindet sich an der südöstlichsten Spitze Englands. Wo immer man von hier aus auch hin will, man muß sich fast immer nach Nordwesten wenden. Ganz gleich, wo ihr Ziel lag, sie mußte einfach durch Tonbridge, Maidstone oder Chatham – und ich auch.
    „Ihre verdammte Selbständigkeit macht mich noch rasend!“ erklärte ich ihr offen.
    „Die einzige Möglichkeit, heute unbeschadet durchzukommen“, antwortete sie ruhig.
    So leicht verliere ich meine Geduld nicht, aber wenn das erst einmal geschehen ist, so gewinne ich sie ebenso schwer wieder zurück.
    „Sie können Ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit nur dann bewahren, wenn man Sie läßt“, eröffnete ich ihr.
    „Wie kommen Sie denn auf diese Idee?“
    „Wenn ich will, lasse ich Sie nicht gehen!“
    „Kaum einer Antwort wert“, wehrte sie verächtlich ab.
    „Vielleicht – vielleicht auch nicht, Ginette. Ich kann mit Ihnen machen, was ich will.“
    „Es ist sinnlos, diese Diskussion fortzusetzen. Ich kann Sie jetzt noch weniger leiden als zuvor. Ich sagte ja bereits auf Wiedersehen, wenn ich mich recht erinnere.“
    Nicht daß ich mich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden in Ginette verliebt hätte, aber ich hatte mich an sie gewöhnt. Der Gedanke, sie nicht mehr in meiner Nähe zu wissen, stimmte mich irgendwie traurig und einsam. Erneut verlor ich meine ruhige Besinnung. Fast grob ergriff ich sie beim Arm und hielt sie fest.
    „Sie gehen dann, wenn ich es wünsche!“ sagte ich entschlossen.
    Ginette sah mich unbewegt an, kalt, ruhig und abwartend. Sie sagte kein Wort, bis ich sie ein wenig beschämt losließ.
    „Danke“, meinte sie nüchtern und frostig. „Das ist wirklich freundlich von Ihnen.“
    „Seien Sie keine Närrin, Ginette. Wo wollen Sie denn hin?“
    „Haben Sie die Absicht, mich hinzubringen?“
    „Wenn ich weiß, wo es liegt, vielleicht.“
    „Im Hinblick auf die Demonstration Ihrer Gefühle, die Sie eben zum besten gaben, möchte ich verzichten. Ich glaube kaum, mich in Ihnen getäuscht zu haben.“
    Wir wechselten kein Wort mehr miteinander, während sie die Wagentür öffnete, ausstieg und sie von außen zuschlug. Die große Tasche in der rechten Hand schritt sie davon, ohne mich auch nur noch eines Blickes zu würdigen.
    Ich verfluchte sie, um mein Herz zu erleichtern. So ein großzügiges Angebot einfach abzulehnen, das war zuviel für mich. Auf der anderen Seite hätte ich fast vergessen, daß der gestohlene Wagen Ginette gewissermaßen zur Hälfte gehörte, mein Angebot also im Grunde nichts anderes war als meine Pflicht.
    Was mich jedoch am meisten ärgerte, war die Tatsache, daß Ginette von mir ging, wann es ihr paßte. Sie hatte bis zur letzten Sekunde die Zügel in der Hand gehalten und bestimmt, was geschah. Mein männlicher Stolz war arg verletzt.
    Für einen Augenblick dachte ich an die Möglichkeit, einfach hinter ihr herzugehen, sie mit Gewalt in den Wagen zurückzuholen und mit mir zu nehmen. Aber das erinnerte an die Methoden der Steinzeitmenschen. Immerhin machte mir der Gedanke Spaß, und es gab niemanden, der mich hätte zur Verantwortung ziehen können. Die einzige Gefahr wäre Ginette selbst gewesen, und das war keine geringe, wie ich mir zugestehen mußte.
    Einfach lächerlich, daß sie ging! Ich erinnerte mich an den Zwischenfall in Boulogne. Hier würde es kaum anders sein, und irgendein Lump würde das beenden, was jene beiden Seeleute in Frankreich begonnen hatten. Ja, und dann? Vielleicht mußte das zwei- oder dreimal passieren, ehe sie ihren Standpunkt wechseln und einsehen würde, was der Schutz eines starken Mannes bedeutete.
    Nein, Ginette würde sich kaum jemals ändern. So schnell wenigstens nicht. Ein Charakter ließ sich nicht umkrempeln, je nach Bedarf. Bestimmt nicht, wenn dieser Charakter – Charakter besaß.
    Die Dinge, die mit ihr geschahen, konnten sie vielleicht selbst zerbrechen, aber nicht ihren Stolz.
    Und das wollte ich nicht. Denn gerade ihr Stolz war es, der mir so gefiel – und der mich lockte.
    Mit einem Satz schoß der Wagen voran.
    Ich mußte sie wiederfinden!

 
7. Kapitel
     
    Obwohl sie nur einen Vorsprung von ein oder zwei Minuten gehabt hatte, war ich nach zwei Stunden immer noch allein.
    Auf den Straßen bewegten sich nur wenige

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