TS 34: Sie starben auf Ragnarok
nach oben.
„Und so“, sagte West, indem er das Buch zuklappte, „sind wir heute hier in den Höhlen, weil Humbolt und Schroeder und die anderen alle ausgeharrt haben. Hätten sie nur an ihr persönliches Wohlergehen gedacht und ein Nomadenleben aufgenommen, so würden wir heute abend irgendwo im Süden im Gras bei Lagerfeuern sitzen, und unser Streben und unsere Pläne wären nur auf das Heute ausgerichtet.
Jetzt wollen wir hinausgehen, um die heutige Abendstunde zu beschließen.“ Lehrer West führte seine Schülerschar vor die Höhlen, hinaus in die sternhelle Nacht. West wies zum Himmel auf die Sterngruppe, die sie die Athena-Konstellation nannten und die wie eine riesige Pfeilspitze hoch im Ostenstand.
„Dort“, erklärte er, „oberhalb der Pfeilspitze stoppten vor hundertzwanzig Jahren die Gerns das Raumschiff unserer Vorfahren, um sie auf Ragnarok auszusetzen und sterben zu lassen. Von hier aus können wir Athenas Sonne nicht sehen. Das System liegt so weit entfernt, daß es noch einhundertfünfzehn Jahre dauern wird, bis unser erstes Signal dort ankommt. Warum nun müßt ihr und all die anderen Schülergruppen Dinge wie Geschichte, Physik, die Gern-Sprache und die Bedienung eines Gern-Blasters lernen?“
Die Hand eines jeden Kindes flog nach oben. West wählte den achtjährigen Clifton Humbolt aus. „Erzähle du uns darüber, Clifton“, sagte er.
„Ein Gern-Kreuzer könnte jederzeit wenige Lichtjahre entfernt vorbeifliegen und unsere Signale aufnehmen“, antwortete der Junge. „Aus diesem Grunde müssen wir alles über die Gerns wissen und sie zu bekämpfen verstehen, denn wir sind noch gering an Zahl.“
„Die Gerns werden kommen, um uns zu töten“, sagte die kleine Maria Chiara mit dunklen, ernsten Augen. „Sie werden kommen, um uns zu töten und aus denjenigen Sklaven zu machen, die sie für sich und ihre Zwecke brauchen, genauso wie sie es mit den anderen Menschen vor langer, langer Zeit gemacht haben. Sie sind sehr böse und klug, und wir müssen klüger sein als sie.“
Wieder blickte Howard zur Athena-Konstellation und dachte dabei: Ich hoffe, sie kommen erst, wenn ich alt genug bin, um gegen sie zu kämpfen, oder selbst wenn es heute nacht …
„Herr Lehrer“, fragte Clifton in seine Gedanken hinein, „Wie würde ein Gern-Kreuzer aussehen, wenn er heute nacht käme? Würde er von der Athena-Pfeilspitze herkommen?“
„Wahrscheinlich“, antwortete West. „Du würdest den breiten Feuerschweif seiner Raketen sehen …“
Plötzlich flammte ein Feuerschweif am Himmel auf. Er kam aus Richtung Athena und erhellte die Wälder und Berge.
„Das sind sie!“ rief eine aufgeregte Stimme.
Dann verschwand das Leuchten, und nur noch ein verschwommenes Glühen wies darauf hin, daß es auch wirklich gewesen war.
„Das war nur ein Meteor“, erklärte West. Er blickte auf die Reihen der Älteren, die sich schützend vor die Jüngeren gestellt hatten, mit Steinen in den Händen, mit denen sie die Gerns zu empfangen gedachten, und er lächelte auf die Art, wie er zu lächeln pflegte, wenn er mit seinen Schülern zufrieden war.
Howard sah den Meteorschweif verschwinden. Sein anfängliches Hochgefühl begann einer tiefen Enttäuschung Platz zu machen. Nur ein Meteor …
Aber eines Tages könnte er Führer sein, und dann, ganz gewiß, dann würden die Gerns kommen. Und wenn nicht, würde er schon einen Weg finden, um sie anzulocken.
*
Zehn Jahre später war sein Wunsch in Erfüllung gegangen: Howard Lake war der Führer von 350 Ragnarok-Menschen. Der Große Frühling hatte den Großen Winter abgelöst.
Es gab viel Arbeit, nachdem der Große Winter endlich gewichen war. Sie brauchten einen größeren Brennofen, eine größere Werkstätte mit einer hölzernen Drehbank, mehr Diamanten zum Schneiden, mehr Quarzkristalle zur Anfertigung von Ferngläsern und Mikroskopen. Jetzt konnten sie sich auch dem Gebiet der anorganischen Chemie zuwenden, wenn auch die Ergebnisse der Vergangenheit gleich Null gewesen waren. Und sie konnten in ein paar Jahren die Suche nach Erzen auf dem Plateau wieder aufnehmen, das wichtigste Projekt überhaupt.
Ihre Waffen schienen so perfekt wie nur möglich zu sein, aber wenn die Gerns kämen, würden sie eine schnelle und sichere Nachrichtenverbindung zwischen den verschiedenen Kampfgruppen benötigen. Ein Führer, der mit seinen Streitkräften nicht in Verbindung stehen und ihre Aktionen koordinieren konnte, würde hilflos sein. Aber sie besaßen auf
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