TS 37: Tödliche Träume
Wange. Die Episode sollte Nord noch einen Trost geben. Denn Margaret reagierte plötzlich wieder menschlich. Sie hielt das Kind an den Schultern fest.
„Daddy, wir sollten sie mitnehmen, bis die Eltern gefunden sind. Hier draußen sind sie verloren. Helfen Sie, Mrs. Kovis!“
Nord fühlte sich etwas erleichtert. Er versuchte allerdings nicht, seine Frau zurückzuhalten. Das war hoffnungslos. Vielleicht sogar falsch, denn bei ihrem Vater würde sie jetzt wirklich sicher sein. Fatalistisch sah er dem schweren Wagen nach, der durch den leichten künstlichen Regen davonjagte.
„Jetzt ist auch Ihre Frau gegangen“, hörte Nord Harms mitfühlend sagen. „So oder so sind wir Leidensgefährten …“
7. Kapitel
Nord erwiderte nichts darauf. Obwohl er bei dem Gedanken an Margaret auch jetzt noch die alte Liebe empfand und sich wünschte, daß die letzten Stunden ungeschehen gemacht werden könnten, fand er einen Augenblick Muße, Harms zu bewundern. Er hatte eine zynische und doch vertrauenswürdige Art – und nur wenig Talent, sich selbst zu bemitleiden.
„Reden Sie nicht, wenn Ihnen nicht danach zumute ist“, fuhr er fort. „Ich werde jetzt nach Hause gehen. Vielleicht folge ich dein Vorschlag des Mannes im Radio, obwohl er wahrscheinlich selbst nicht daran glaubt. Entspannen Sie sich mit dem Sensipsych! Das klingt, als wäre es speziell für mich bestimmt.“
Dann war er, gegangen, ohne daß es Nord trauriger machte. Er wandte sich dem Hause zu, das ihn leer und verräuchert erwartete. Es war einladend wie ein ausgeschaufeltes Grab. Und bot doch noch einiges mehr. Den Sensipsych zum Beispiel. Das Vergessen, das Fliehen-Können. Mit Macht überkam ihn die Sehnsucht nach den Polarnebeln des Mars, nach der roten Wüste und nach dem harten Pflanzerleben in trockener Kälte. Erregend, schön, wild, urwüchsig wie die Zeitalter der Vergangenheit. Aber in Sensipsychform so harmlos wie das Bücherlesen.
Gegen eine innere Furcht ankämpfend, stapfte er durch den Regen in Richtung des Geschäftsviertels. An der nächsten Ecke mußte er an einem Toten vorbei. Er sah nicht hin, denn er wollte nicht wissen, welcher Nachbar die Ewigkeit verloren hatte.
Vor sich bemerkte er einen Schatten, der sich gegen das Feuer abzeichnete. Es war ein unbemanntes Raupenfahrzeug der Robot-Polizei. Das Bedienungspersonal hielt sich in meilenweiter Entfernung auf und lenkte den Kampfwagen mit Hilfe der Fernsehaugen.
Das Ding verfolgte zwei Gestalten, die die unverkennbare schwarze Schärpe über ihrem Gesicht trugen und sich offenbar auf der Flucht befanden. Ein sonnenheller Blitz durchzuckte plötzlich die Dunkelheit, und Nord schloß unwillkürlich die Augen. Dann folgte das Bellen der Strahlenkanone. Als er wieder hinsah, fand er von den beiden Weltverbesserern nichts mehr.
Nord unterdrückte den Wunsch, zu fliehen. Er sah wimmernde, schreiende Menschen um sich. Sie liefen davon. Zurück zum Sensipsych. Das Ziel ihrer Flucht las er ihnen von den Gesichtern ab. Sie alle zogen es vor, den Tod träumend und unbewußt zu erwarten, als ihm hier in der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.
In dieser Stunde haßte er sie. Haßte er sie wie seine eigenen Gedanken und Gefühle. Sie stoben davon. Blind für ihre Probleme. Passiv, urteilslos. Masse – und keine Individuen. Leute – und keine Menschen. Nur wenige wußten überhaupt etwas zu sagen, als sie an Nord vorbeidrängten.
„Es ist das Unbekannte, der Schock, Frank. Auch daran gewöhnt man sich. Zuerst sind die Menschen immer so …“
Ein junges Mädchen meinte: „Sie gehen den falschen Weg, Mister. Es sei denn, Sie wollen sich mit den Fanatikern verbünden. Die meisten sind auf Normans Hügel gelandet …“
Dann nahm die drängende Menge sie mit.
Normans Hügel. – Als ein massiver, waldbedeckter Schatten schob er sich vor den Horizont. Am Himmel zeigte sich der erste Schimmer der Dämmerung. In der Nähe des Geschäftsviertels bog Nord in eine Seitenstraße, die sich den Hang hinaufzog. Warum er das tat, wußte er nicht. Hauptsache, er unternahm etwas gegen seine innere Furcht.
Den Weg kannte er gut. Wenn er daran dachte, was das Mädchen über die Landung der Rebellen auf Normans Hügel gesagt hatte, mußte er sie bewundern. Vielleicht wartete der Tod auf dem Grat.
Er nahm einen Eichenast vom Wege auf, den er als Keule benutzen konnte. In der Nähe der Hügelgruppe glaubte er Schritte im trockenen Laub zu hören. Um sicherzugehen, schlug er einen Bogen.
Plötzlich
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