TS 43: Der Zauberer von Linn
Gut, hier bringe ich dir ihre Befehle. Wiederhole sie, wenn ich sie gesprochen habe. Regel eins: herrsche stets nach deinem eigenen Gutdünken!“
„Ich soll stets nach eigenem Gutdünken herrschen.“
„Gut. Regel zwei: niemand im Palast soll dir raten, sondern nur deine eigenen Entschlüsse sind der Wille der Götter.“
Calaj wiederholte auch diese Worte, und er tat es mit heiligem Eifer. Aber er setzte hinzu:
„Auch Mutter nicht?“
Clane schüttelte den Kopf.
„Besonders Mutter nicht!“ befahl er. „Und die dritte Regel: du benötigst frische Kräfte zu deiner Unterstützung. Wähle nur Männer nach deiner eigenen Wahl und lehne alle ab, die dir von deiner Mutter vorgeschlagen werden. So, und jetzt habe ich einige Dokumente, die ich dir zeigen möchte …“
*
Wieder in seinem Landsitz, versäumte er keine Zeit mehr. Er ließ den Adjutanten rufen und sagte:
„Ich werde bald abreisen und für eine lange Zeit nicht zurückkehren. Hier soll sich nichts ändern und alles so weitergeführt werden wie bisher.“
„Was ist mit dem Mädchen, mein Lord?“
„Die Bogenschützin? Hm – die Männer können es wohl schon nicht mehr abwarten?“
„Sehr richtig, Lord.“
Clane sagte ruhig:
„Die Sitte, ein hilfloses Mädchen der rauhen Willkür von Soldaten zu überlassen, betrachte ich als barbarisch. Außerdem ist ihre Familie eng mit dem neuen Lordführer befreundet. Mache das unseren Männern klar. Auch kannst du ihnen sagen …“
Er zögerte. Das, was nun kam, war ein Teil seines politischen Spieles, das er begonnen hatte und auch zu Ende führen mußte, sollte es Erfolg haben.
„Sage ihnen also, daß Lady Madelina Corgay künftig als Lady Madelina Linn bekannt sein wird. Jeder hat sie entsprechend zu behandeln.“
„Darf ich gratulieren, Lord Clane Linn?“
„Danke. Die Hochzeit wird noch heute abend stattfinden.“
10. Kapitel
„Aber – du mußt doch wissen, was du unterschrieben hast!“ Lilidel tobte. „Was stand in den Dokumenten?“
Sie schritt in dem Zimmer ihres Sohnes hin und her, der sie mißmutig beobachtete. Sie war die einzige Person, die ihn immer wieder daran erinnerte, daß er noch ein Kind war. Jeden Fehler fand sie heraus und machte ihm Vorwürfe deswegen.
Fünf Wochen war es nun schon her, daß sein Onkel Lord Clane zu ihm in den Palast gekommen war. Und er hatte etwas unterschrieben …
„Warum sollte ich sie lesen? Ich bekomme jeden Tag einen Haufen Schriftstücke, die ich unterschreiben muß; wenn ich die alle lesen wollte, hätte ich bald nichts anderes mehr zu tun. Schließlich ist er auch mein Onkel, und er hat keine Schwierigkeiten gemacht, als ich Lordführer geworden bin.“
„Er darf nicht mit den Dokumenten entkommen“, bestand Lilidel auf ihrer Forderung. „Er muß ja denken, wir hätten Angst, offen gegen ihn vorzugehen.“ Ihre Stimme wurde schrill. „Wir haben allen Gouverneuren befohlen, bei Vorlage von Dokumenten vorsichtig zu sein und rückzufragen, wenn sie sich auf militärische Dinge beziehen.“
Calaj bemerkte wieder einmal mit Mißvergnügen, daß seine Mutter ,wir’ sagte. Sie tat ganz so, als sei sie der Lordführer, und nicht er. Dabei besaß sie kein offizielles Amt in der Regierung. Hatte Clane ihm nicht gesagt, er müsse selbständig werden? Wie aber sollte er seiner Mutter und jenen Leuten, die hinter ihr standen, auf die Dauer die Stirn bieten können?
Es wurde Zeit, daß er etwas unternahm, dachte er.
Laut sagte er:
„Und wozu soll das alles gut sein? Unsere Agenten berichten, daß er auf keinem seiner Güter weilt. Du mußt ihn finden, bevor du etwas gegen ihn unternimmst. Und dann würde ich auch noch Traggen vorschieben, wäre ich an deiner Stelle. Er ist Kommandant der Feld-Legion und sollte seinen Kopf herhalten.“ Er stand auf. „Ich gehe zu den Spielen.“
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern ging grußlos.
Lilidel sah ihm nachdenklich nach. Es war nicht so leicht, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er ließ sich nicht so einfach dirigieren. So hatte Calaj, um ein Beispiel zu nennen, die normale Dauer der Festspiele von drei Tagen auf unbestimmte Zeit verlängern lassen. Die Feierlichkeiten kosteten das Volk nichts, sondern gingen zu Lasten der Regierungskasse.
Ein weiterer Zwischenfall hatte sich ereignet, der zu denken gab.
Calaj war eines Tages mit einer Gruppe von Spielkameraden heimgekehrt und hatte plötzlich ausgerufen: „Ich könnte euch alle töten lassen, wenn ich wollte.“
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