TS 43: Der Zauberer von Linn
Und seiner Wachmannschaft befahl er: „Bringt sie um!“
Als er den verblüfften Soldaten zum drittenmal seinen Befehl entgegenschleuderte, griff einer der Kameraden zum Schwert. Das war das Zeichen zu einem furchtbaren Blutbad, in dem neun der elf Jungen den Tod fanden. Zwei entkamen, wurden aber später gefaßt. Man stellte das Ereignis als einen Anschlag auf das Leben des Lordführers hin, und die beiden Gefangenen wurden hingerichtet.
Lilidel stand in dem Zimmer und ahnte, daß diese Ereignisse nichts als der Beginn noch verwirrender Begebenheiten sein würden.
*
In den nun folgenden Wochen bemerkte Lilidel, daß Traggen eine Gruppe kräftiger Soldaten zusammengezogen und als Leibwache für Calaj ausgebildet hatte. Die Leute waren darauf geschult, den kleinsten Wink des Lordführers zu beachten und entsprechend zu reagieren. Daran war an sich nichts Verdächtiges, aber schließlich wurden die Befehle Calajs immer merkwürdiger.
Nach und nach drangen die Gerüchte an Lilidels Ohren.
Im Verlauf weniger Monate verschwanden Hunderte von Frauen und Männern, um nie wieder gesehen zu werden. Ihr Platz wurde von anderen eingenommen, die von den Geschehnissen nichts ahnten und Erzählungen darüber mit einem mitleidigen Lächeln abtaten.
Das Bestreben, in die Nähe des Lordführers zu gelangen und seine wohlwollende Aufmerksamkeit zu erregen, wurde förmlich zu einer Manie. Jeder wollte im Palast sein Amt gesichert wissen – der uralte Weg, sich Macht und Einfluß den anderen gegenüber zu verschaffen. Aber niemals zuvor war dieser Drang so stark gewesen.
Calajs Leibwache aber ruhte nicht.
Es gab unzählige Familien, die das Verschwinden eines Sohnes oder einer Tochter zu beklagen hatten. Die gedungenen Mörder Calajs kannten kein Erbarmen, wenn sie erst einmal ihr Opfer einkreisten.
So vergingen ein Jahr und drei Monate …
*
Eines Tages zeitigte Lilidels Suche nach den Dokumenten, die Clane von Calaj hatte unterschreiben lassen, Erfolg. Der Abschnitt eines Schreibens, von einem Gouverneur an den Lordführer gerichtet, lautete:
„Wollen Sie Seiner Lordschaft meine höchste Bewunderung dafür aussprechen, wie vorsorglich und klug er für den Fall geplant hat, daß wieder einmal ein Riesenschiff von den Sternen die Erde belagert. Wir Bewohner von Reean sind vielleicht am besten in der Lage, die enorme Voraussicht des Lordführers zu begreifen. Die Städte unserer Nachbarn wurden damals durch Bomben zerstört. Meiner Ansicht nach wurde das Ansehen unseres Lordführers durch seine umsichtigen Pläne noch weiter gestärkt und jene, die ihn für zu jung hielten, sind Lügen gestraft worden. Besonders die landwirtschaftlichen Gebiete unseres Reiches werden von seinen Maßnahmen zu ihrem Vorteil betroffen.“
Lilidel gab ihren Spionen den Auftrag, sofort nachzuforschen, um welche Maßnahmen es sich überhaupt handelte, und nach einer Woche wußte sie, was geschehen war und immer noch geschah.
Überall, außer in Linn und Umgebung, war die Bevölkerung der Städte dazu aufgefordert worden, zehn Prozent ihres Verdienstes dafür zu verwenden, Notquartiere und riesige Kühlhäuser auf dem Lande anzulegen. Dorthin sollten sie sich auch begeben, wenn eines Tages der Notstand ausgerufen werden sollte. Die Gebäude selbst konnten auch als Speicher benutzt werden. Um sich mit der ländlichen Umgebung vertraut zu machen, mußten die Stadtleute einmal im Monat für einen Tag zu ihren Farmen reisen und dort arbeiten.
Nach drei Jahren konnten die Bauern die angelegten Häuser zu einem stark ermäßigten Preis erwerben, durften sie aber in den nächsten zehn Jahren nicht abreißen. Die Vorräte in den Kühlhäusern mußten fünf Jahre lagern, dann wurden sie Eigentum der Stadtbevölkerung.
Lilidel wußte sofort, daß dies eine Anordnung war, die von Clane stammte. Calaj hatte damals den entsprechenden Befehl blindlings unterzeichnet.
Aber je länger sich Lilidel die Angelegenheit durch den Kopf gehen ließ, je weniger verstand sie. Sie konsultierte ihre landwirtschaftlichen Experten, die Calaj für den Urheber des bereits halb verwirklichten Projektes halten mußten. Sie rieten dazu, den Bau der Häuser und Kühlanlagen einzustellen, aber Lilidel lehnte das plötzlich ab.
„Im Gegenteil, meine Herren. Ich werde den Lordführer veranlassen, daß auch Linn in die Pläne einbezogen wird.“
Später berichtete sie Calaj:
„Es war die Idee deines Onkels, aber sie hat unsere Macht weiter
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