TS 55: Die Wespe
durchsuchen wollt, dann macht voran. Das war heute ein langer Tag für mich. Ich bin hundemüde und möchte nach Hause gehen.“
„Ich glaube kaum, daß wir uns der Mühe unterziehen werden“, sagte der Polizist. „Aber zeigen Sie uns wenigstens Ihren Ausweis.“
Mowry kramte seinen Paß aus der Tasche. Der Polizist warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
„In Ordnung, Sie können gehen. Wenn Sie schon nächtliche Spaziergänge lieben, dann müssen Sie auch damit rechnen, daß man Sie anhält und kontrolliert. Wir haben nämlich Krieg, mein Herr.“
„Geht in Ordnung, Herr Inspektor“, murmelte Mowry müde.
Dann schritt er schnell davon und dankte dem Himmel dafür, daß er seinen Koffer nicht dabei hatte. Der hätte bestimmt den bestehenden Verdacht der Polizisten erregt. Um sie davon abzuhalten, seinen Inhalt zu untersuchen, hätte er ihnen den Ausweis der Kaitempi vorlegen müssen. Daran hatte er aber im Augenblick kein Interesse.
In seiner Wohnung angekommen, zog James Mowry sich aus, fand aber noch keine Zeit zum Schlafen. Er legte sich ins Bett und betrachtete voller Hingabe den wertvollen Paß. Nun, da er mehr Zeit gefunden hatte, über die vielen Möglichkeiten dieses Dokumentes nachzudenken, fand er sich vor die Entscheidung gestellt: sollte er es behalten – oder nicht.
Der Kaitempi-Ausweis war infolge des sozial-politischen Systems des Sirianischen Imperiums eine Garantie dafür, daß mindestens 99% der Zivilisten vor ihm auf die Knie fallen würden. Aber der terranische Geheimdienst hatte ihm diese Waffe nicht in die Hand gegeben; Mowry hatte sie sich selbst besorgen müssen. Daraus ließ sich der logische Schluß ziehen, daß der terranische Geheimdienst keinen solchen Originalausweis besaß.
Draußen im Weltraum zwischen Tausenden von Sternen gab es einen grünblauen Planeten, den sie Erde nannten. Auf ihm konnten sie alles exakt nachbilden – nur keinen Menschen; wenigstens nicht genau. Vielleicht wären sie für diesen Ausweis dankbar. Vielleicht würden sie dann künftig jede Wespe zu einem Major der Kaitempi machen.
Mowrys Entschluß stand fest. Bei seinem ersten Besuch in der Höhle wollte er einen ausführlichen Bericht absenden, und dann sollte Terra entscheiden, ob er im Interesse aller anderen Agenten den Paß abgeben mußte oder ihn behalten durfte.
5.
Am Nachmittag kehrte Mowry zum Bahnhof zurück und stand dort herum, als warte er auf einen ankommenden Reisenden. Er achtete sorgfältig auf seine Umgebung und schien an nichts anderem als an gelegentlich eintreffenden Passagieren interessiert zu sein. In der großen Halle gab es noch fünfzig oder sechzig Personen, die sich einer ähnlichen Beschäftigung hingaben. So sehr er sich auch bemühte, er konnte niemand entdecken, der ihn mit den harten Augen eines Geheimpolizisten beobachtet hätte. Allerdings entging ihm nicht das halbe Dutzend unauffällig gekleideter Zivilisten, die in der Nähe der Sperre standen und jeden Neuankömmling scharf unter die Lupe nahmen.
Mowry wartete nicht mehr länger. Er schlenderte zur Gepäckaufbewahrung, schob den Schlüssel in die Safetür und wünschte sich sehnlichst, daß er ein drittes Auge hätte, mit dem er die Leute hinter sich unauffällig beobachten könnte. Er öffnete die Tür, zog den Koffer aus dem Safe und stand für einen langen und schrecklichen Augenblick mit dem Beweis seiner Schuld in der Hand unter der Menge. Sollte er jemals gefaßt werden, so wäre jetzt der geeignetste Moment.
Aber nichts geschah. James Mowry spazierte mit unschuldiger Miene davon. Draußen vor dem Bahnhof sprang er auf einen anfahrenden Bus und sah sich vorsichtig nach eventuellen Verfolgern um. Aber die Chance, daß ihn jemand beobachtet hatte, war sehr gering.
Vielleicht interessierte sich auch niemand für ihn, weil die Kaitempi von Radine nicht wußte, wo sie mit ihren Nachforschungen beginnen sollte. Darauf aber durfte Mowry sich nicht verlassen, genauso wie er den Feind nicht unterschätzen durfte. Es bestand immer die Möglichkeit, daß eine geringfügige Kleinigkeit, die er übersehen hatte, ihnen eine Spur gab, die direkt zur Gepäckaufbewahrung führte. Es konnte sein, daß sie sich dafür entschieden, ihn nicht dort auf frischer Tat festzunehmen – in der stillen Hoffnung, er führe sie zum Versteck der Widerstandsbewegung. Die Kaitempi war nicht so dumm, einen Gegner durch die Verhaftung eines einzigen Mitgliedes zu alarmieren. Sie würde sich Zeit lassen, um die ganze Bande
Weitere Kostenlose Bücher