TS 65: Die Zeit-Agenten
zu Gesicht. Ich würde wahrscheinlich wie ein Mastschwein darin aussehen.“
„Wie du meinst“, meinte Elspeth und suchte vergeblich nach einem Spiegel, um sich darin zu betrachten. Sie hatte das Gefühl, daß sie die Uniform kleidete, wenn ihr auch an und für sich militärische Kleidung neu war. Aber wenigstens stammte sie aus ihrer eigenen Zeit, wenn auch nicht von ihrer eigenen Welt. Sie nahm sich vor, Commander de Mestres, wenn sie ihn zum nächstenmal sah, zu fragen, von welcher Welt er kam.
„Herrin“, meinte Lamia mit klagender Stimme, „ich will zwar nicht sagen, daß ich irgend etwas hier verstehe – aber ich sehe jedenfalls, daß du eine ungeheuer mächtige Hexe bist.“
„Ich bin keine Hexe“, sagte Elspeth und ließ die Asche ihrer Zigarette auf den Boden fallen. „Ich bin nur – nun sagen wir, ich komme von weither. Im übrigen bin ich eine ganz normale Frau wie du.“
Die Augen der Sklavin waren weit aufgerissen. „Und diese seltsame Sprache, die du sprichst – was ist das?“
„Wir nennen sie ,Englisch’“, erklärte Elspeth.
„Dann mußt du von Britannien kommen“, überlegte Lamia, sichtlich erfreut, endlich eine verständliche Erklärung gefunden zu haben. „Vielleicht aus den seltsamen Provinzen im Norden. Man sagt, daß es dort viele blonde Frauen gibt.“
„Lassen wir es dabei, daß ich von sehr weit komme“, erklärte Elspeth. „Und jetzt wollen wir sehen, daß wir etwas zu essen bekommen.“
Zu Lamias sichtlicher Enttäuschung gestattete man es ihnen nicht, ihr Essen mit den Soldaten gemeinsam einzunehmen, sie aßen vielmehr im Büro des Commanders und wurden dort von Sergeant Carhart bedient.
Lamia staunte natürlich über die fremdartigen Speisen, machte aber kein besonderes Aufhebens davon.
Als sie gegessen hatten, bat Elspeth, ihren verwundeten Sänftenträger besuchen zu dürfen, den sie zwar sichtlich verwirrt, aber sonst guter Dinge in einer provisorisch eingerichteten Krankenstation am anderen Ende des Palastes vorfand. Die beiden Iberer begrüßten sie mit beinahe erschrecktem Ausdruck, und Lamia, die nach ihren Begriffen konventioneller bekleidet war, mußte sie zuerst beruhigen und ihnen erklären, daß alles in Ordnung sei.
„Sie glauben, sie sind tot und in den Himmel versetzt“, erklärte die Sklavin Elspeth, nachdem sie die Krankenstation verlassen hatten. „Sie glauben, daß das Licht, das sie hier sehen, vom Himmel gestohlen ist.“
„Und was glaubst du?“ fragte Elspeth das Mädchen.
Lamia zuckte die Achseln und meinte: „Ich habe es aufgegeben, etwas zu glauben. Ich versuche nur zu lernen und zu sehen. Und ich bin froh, daß du hier bist, um mich vor allem zu beschützen, das ich nicht verstehe oder kenne.“
„Ich lasse dich heute abend eine Weile allein“, erklärte Elspeth. „Während ich weg bin – mache keinen Unsinn, es wird dir niemand etwas zuleide tun – kümmerst du dich um die beiden Sänftenträger.“
*
Den Rest des Nachmittags verbrachte sie hauptsächlich mit Hauptmann Johnson und dem Commander, um die Pläne für die Reise nach Schlesien auszuarbeiten. Sie kamen schließlich überein, daß sie unmittelbar nach Einbruch der Dunkelheit mit einem leichten Flugwagen starten und bei Morgengrauen zurückkehren sollten – oder, wenn es sich nicht anders einrichten ließ, bis zur nächsten Nacht warten, um nicht Italien untertags zu überfliegen. Man würde ihnen niemand nachsenden, es sei denn, sie sollten nach sechsunddreißig Stunden noch nicht zurückgekehrt sein.
„Geht in Ordnung“, nickte Elspeth, die eine Zigarette im Mund hielt. „Und wie ist es nun mit dem Flugweg? Das ist wohl Ihre Sache, Hauptmann.“
„Sie können mich ruhig Bill nennen“, meinte der Flieger mit einem jungenhaften Lächeln. Elspeth warf Lamia einen schnellen Blick zu, die schweigend und verständnislos auf einem niedrigen Sessel hockte.
Nach einem reichlichen Abendessen, bestehend aus Filetsteak und Pommes frites, starteten sie und Hauptmann Bill Johnson in einem Flugwagen, dessen dünne Panzerung und Raupenketten ihn als Kampffahrzeug kennzeichneten. Ehe sie vom Boden abhoben, meinte der Commander zu Elspeth gewandt: „Versuchen Sie bis morgen wieder hier zu sein. Viel länger kann ich meine Leute nicht mehr zusammenhalten. Sie möchten, daß etwas geschieht.“
„Das werden sie noch früh genug erleben“, meinte die Agentin. Sie kletterte in die Kanzel und setzte sich neben den Hauptmann. Dann winkte sie durch eine
Weitere Kostenlose Bücher