TS 68: Die Stadt im Meer
„Erschrecken Sie ihn nicht.“
Donn legte die Entfernung zwischen ihnen in langsamem Tempo zurück. Der Mann erwartete sie mit wachsamem Blick. Fünf Fuß vor ihm blieben sie stehen.
Der Geflügelte zögerte, beobachtete aufmerksam den Leutnant und ihre Hände, die Waffe an ihrer Seite. Dann griff er nach den Zügeln. Impulsiv reichte Donn sie ihm. Er zog das Gespann weiter, bis er ein weiteres Dutzend Fuß zwischen sich und das Mädchen gebracht hatte. Dann blieb er stehen, trat dicht an die Pferde heran, ließ seine Hand über ihre Brust und Beine gleiten, um ihre Stärke zu prüfen. Offensichtlich war er mit dem Ergebnis zufrieden.
Mit erhobenem Kopf sah er seinen Gefährten auf dem Dach an, und dieser breitete seine Flügel aus und glitt hinunter neben das Gespann. Beide examinierten die Pferde gründlich.
Als sie damit zu Ende waren, sagte Donn: „Zufrieden?“
Sie starrten sie an, überrascht und neugierig.
„Lieben Sie Pferde?“
Keine Antwort.
„Können Sie nicht sprechen?“
Der Mutigere kam langsam näher und starrte auf ihre Lippen.
„Ich fragte“, wiederholte Donn, „ob Sie nicht sprechen können.“
Sein Blick wanderte von ihren Lippen zu ihren Augen.
„Nein, ich glaube nicht. Aber Ihnen gefällt der Klang, nicht?“
Die Bewegung der Lippen schien ihn zu faszinieren. Er versuchte, sie mit seinen eigenen zu imitieren, aber kein Ton kam heraus.
„Sie besitzen offenbar nicht die Voraussetzungen dazu, mein Freund. Weder Sie noch unser guter Wolf.“
Er blickte über ihre Schulter und zog sich rasch zurück. Donn sah sich um. Barra kam heran. „Sie können nicht sprechen, Doktor.“
„Keine Stimmbänder“, erklärte Barra. „Oder, falls sie sie haben, benutzen sie sie nicht.“ Sie öffnete weit ihre Arme, um eine friedfertige Geste anzudeuten. „Ich tue Ihnen nichts. Kommen Sie.“
Er kam langsam zurück, als er sah, daß die Ärztin keine Waffe trug.
„Ist das denn die Möglichkeit!“ rief der Leutnant. „Meine Großmutter hat mir zwar Märchen erzählt, aber nie so etwas.“
„So etwas hat es auch noch nie gegeben, oder wenigstens hat keiner von uns es je gesehen.“ Barra versuchte, die Flügel aus der Nähe zu sehen.
„Wissen Sie“, sagte Barra, „unter anderen Umständen formt das Leben andere Wesen. Hier – nehmen wir an, unsere Inseln würden plötzlich überflutet und lägen einen Fuß tief unter Wasser. Was würde geschehen?“
„Wir würden ertrinken – und zwar schnellstens.“
„Nein, nicht alle. Die Starken würden überleben. Sie würden Flöße bauen, Boote bauen, schwimmen lernen. Und vielleicht – nur vielleicht – würden nach ein paar hundert Jahren die Nachkommen dieser Überlebenden Flossen wie Fische entwickelt haben, die es ihnen ermöglichen, im Wasser zu leben.“
Sie wies auf den Fremden. „Ich will nicht sagen, daß diese Leute Flügel haben, um überleben zu können, aber in ihrer Vergangenheit ist irgend etwas geschehen, das ihren Körper veränderte. Wenn eine Veränderung der Körper lange genug anhält, wird bald die ganze Rasse sie annehmen.“
Donn blickte nach oben. „Das haben die hier getan. Sehen Sie mal, was da kommt!“
Hunderte von Geflügelten stießen auf sie herunter und füllten die Luft mit dem Rauschen ihrer Flügel. Sie kamen in großen Gruppen und landeten in sicherer Entfernung. Aller Augen hafteten auf den Pferden.
„Wir sind für sie nicht halb so interessant wie die Pferde.“
„Das verstehe ich nicht“, gab Barra zu. „Man sollte doch annehmen, daß das Fehlen unserer Flügel sie erstaunt.“
„Vielleicht sind ihnen Menschen ohne Flügel gar nicht so fremd.“
„Das könnte sein … Ganz bestimmt ist es so.“
Die Neuankömmlinge starrten aus der Entfernung auf die Tiere. Einer der beiden Männer bei den Pferden nahm die Zügel und führte sie zu der Gruppe. Sein Gefährte wartete in der Nähe und sah immer noch fasziniert auf ihre Lippen.
„Wissen Sie“, sagte Barra nachdenklich, „wenn sie schon vorher Menschen ohne Flügel gesehen haben, konnten die ganz bestimmt nicht sprechen.“ Sie trat ein paar Schritte vor. „Mein Freund, ich möchte Ihre Flügel anfassen.“ Sie streckte die Hand aus.
Er sah sie erwartungsvoll an und streckte nach einem Augenblick die seine aus. Barra berührte seine Hand, ergriff sie und kam näher. Er blieb stehen, ganz auf der Hut. Sehr langsam langte die Ärztin um ihn herum und legte einen Finger auf einen der Flügel. Er machte keinen Einwand. Er
Weitere Kostenlose Bücher