TS 72: Das Erbe von Hiroshima
gemeint“, versicherte er ihr, als sie in die unbelebte Seitenstraße einbogen. „Ganz bestimmt nicht.“
„Du verteidigst ihn auch noch? Ich weiß genau, was er will. Wenn er sich meiner sicher ist, wird er den Fall der Regierung melden. Sie werden mir keine Ruhe geben, an mir herumexperimentieren, mein Gehirn untersuchen, mich von einem Institut zum anderen schicken – weißGott, was sie noch alles anstellen werden. Die Bemerkung Prexlers, es ließe sich nicht geheimhalten, hat mir genügt.“
„Aber – das glaube ich nicht. Er hat es bestimmt nicht so gemeint. Was er vorher erzählt hat, klang doch vernünftig, oder willst du das nicht zugeben? Das mit der Entwicklung der Menschheit, meine ich.“
„Zugegeben, aber das hat nichts damit zu tun, daß ich nur ein normales Mädchen bin und mein Privatleben haben will. Ich will heiraten und glücklich sein, mehr nicht. Lieber Gott, wäre ich doch nur wie alle anderen – wie froh könnte ich sein.“
„Du bist nicht anders wie sie, Liebes. Niemand weiß etwas …“
„Noch nicht, aber bald! Und dann beginnt die Jagd auf mich. Sie werden die Zeitungsleute auf mich hetzen und mir keine Ruhe geben. Sie werden Wunder von mir verlangen – Lex! Du stehst doch nicht etwa auf ihrer Seite? Willst du denn auch, daß alle es wissen sollen?“
„Natürlich nicht, aber ich muß Professor Prexler zustimmen – in einigen Punkten. Es wäre ein Verlust für die Wissenschaft …“
„Diese verdammte Wissenschaft!“ platzte sie heraus. „Höre mir nur damit auf! Ich will nichts mehr davon hören! Und sage deinem Professor, daß er mich nie wiedersieht. Ich lasse mich nicht mehr überreden, zu ihm zu gehen.“
Er zögerte.
„Denke an seinen Brief“, sagte er unsicher. Aber das hätte er lieber nicht tun sollen. Ihre Wut und Verzweiflung wurden nur noch größer.
„Erpressung, ja, ich weiß! Nun gut, ich werde es darauf ankommen lassen. Wir leben in einem freien Land, wo jeder Bürger das Recht hat, sein eigenes Leben zu leben. Wenn ich nicht will, kann mich niemand zwingen, das Versuchskaninchen für irgendwelche Experimente abzugeben. Ich werde Vater alles erzählen. – So, wir sind da. Du kannst mich absetzen.“
Der Wagen hielt.
„Soll ich mitkommen …“
„Es ist nicht nötig. Vater wird mehr Verständnis für mich haben. Ich bin seine Tochter – und er liebt mich!“
Reglos sah er zu, wie sie den Schlag öffnete, leichtfüßig auf den Bürgersteig sprang und durch den Vorgarten zur Haustür schritt. Sie suchte eine Weile nach ihrem Schlüssel in der Handtasche, fand ihn endlich und schloß die Tür auf. Bereits im Flur drehte sie sich noch einmal um, winkte ihm kurz zu – und war verschwunden.
Er kämpfte mit dem Verlangen, ihr zu folgen. Vielleicht hatte er einen Fehler gemacht. Er hätte es ihr schonender beibringen sollen, daß die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war. Der Professor würde alle Mittel anwenden, sie zu einer Fortführung der Versuche zu zwingen. Er war viel zu fanatisch, um kampflos aufzugeben. Sein Leben lang hatte er nach einem Menschen wie Ann gesucht. Sie war seine einzige Chance, seine Theorie zu beweisen.
Aber dann schob Lex resigniert den Gang ein und gab Gas. Es wäre ein Fehler, ihr jetzt zureden zu wollen. Sie besaß einen Dickkopf, das wußte er. Vielleicht, wenn sie sich etwas beruhigt hatte …
Langsam fuhr der Wagen an.
*
Sie saßen nach dem Abendessen wie gewöhnlich im Wohnzimmer. Bob Britten blätterte in den Zeitungen, Marry stopfte. Ann saß auf dem etwas altmodischen Sofa und sann vor sich hin.
Ihr verändertes Wesen war der Mutter schon seit einigen Tagen aufgefallen, aber sie schob es auf die Tatsache, daß es anscheinend einen kleinen Streit zwischen ihr und Lex gegeben hatte. Das konnte vorkommen und bot keinen Anlaß, voreilig einzugreifen.
Vater natürlich war nicht so feinfühlig; Väter sind das selten.
Er legte die Zeitung beiseite.
„Du scheinst den Schreck immer noch nicht überwunden zu haben, als dieser Kerl dich beinahe angefahren hat.“
Ann sah auf.
„Was sagst du – ach so. Nein, das ist es nicht.“
„Was denn?“
„Ich war heute mit Lex bei Professor Prexler – übrigens der Onkel des Mannes, der mich fast mit seinem Auto umbrachte.“
Sie sah in die schreckgeweiteten Augen ihres Vaters und verstand nicht, warum er plötzlich so blaß wurde. Vielleicht war es auch nur noch der alte Schrecken im Zusammenhang mit der Erwähnung des Unfalles.
Bob Britten aber
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