TS 74: Der Letzte der Navajos, Teil 2
Gefahr. Alles hing vom Zufall ab und von seiner eigenen Fähigkeit, sich die erste beste Gelegenheit zunutze zu machen.
Langsam bog er seine Finger und Handgelenke und fühlte, wie die Fesseln nachgaben. Was hatte man ihm als Waffe gelassen? Nur die Tatsache, daß sein Feind, obwohl von menschlichem Äußeren und geschult, wie ein Mensch zu denken und zu handeln, doch nicht als Mensch geboren war. Wie konnte Coll Bister, der Imitator, jemals einen einzigen Augenblick lang sicher sein, daß er nicht einen winzigen Fehler machte, der ihn ein für allemal als den entlarvte, der er wirklich war?
Vielleicht lag sein Haß auf Storm in dieser Furcht begründet, denn Bister mochte in dem Tiermeister einen Mann erkannt haben, der für diesen Dienst erwählt worden war, weil er genauso ungewöhnliche Geistesgaben besaß wie er selbst, wenn auch vermutlich nicht dieselben? So mochte Bister sein Mißtrauen dem Terraner gegenüber immer weiter vertieft haben, bis er schließlich Storm weit größere Wahrnehmungsfähigkeiten und übersinnliche Gaben zuschrieb, als sie je ein lebender Mensch besitzen konnte. Bister konnte in seiner gegenwärtigen Geistesverfassung nicht wissen, wie Storm reagieren würde, selbst nicht auf einen Strahler. Jetzt mußte der Terraner die nagende Ungewißheit seines Feindes bei dem Eröffnungszug in ihrem Privatkrieg zu seinem eigenen Vorteil nutzen.
Storm wartete, bis das eintrat, worauf er gehofft hatte: Einer von Dumaroys Männern kam auf dem Weg zum Fluß an ihm vorüber. Die leeren Wasserhäute baumelten ihm über der Schulter. Er ließ ihn vorbei und inszenierte dann sein kleines Theaterstück.
Mit leisem Stöhnen wand sich der Terraner, scheinbar an den Fesseln zerrend. Der Mann sah sich um, starrte ihn an und kam zu ihm herüber. Bis jetzt war Storm vom Glück begünstigt: Es war kein mit großen Geistesgaben Gesegneter, auf den er gestoßen war.
Wieder ein Stöhnen, leise und so natürlich, wie es ging – er war leicht erstaunt über sein eigenes künstlerisches Talent – und der Mann ließ seine Last fallen und kniete nieder, um den Gefangenen näher zu inspizieren.
Storm holte aus und traf den anderen mit der Handkante an der Seite des Halses. Der Schlag saß nicht genau, Storm war zu schwach, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu führen, aber er brachte den Reiter aus dem Gleichgewicht, und er fiel quer über den Terraner. Dann den richtigen Druck angewendet, und der Mann sackte, immer noch überrascht, in sich zusammen.
Einen Augenblick voll angstvoller Erwartung hielt Storm den bewußtlosen Körper an sich gedrückt und wartete auf das Rufen, die laufenden Füße und sammelte gleichzeitig Kraft für den nächsten Schritt.
Als vom Lager her keine Reaktion erfolgte, wälzte sich der Terraner vorsichtig unter dem Reiter hervor und legte den Mann an seine Stelle. Er raffte die Wasserschläuche auf und zwang sich, ruhigen Schrittes zum Flußufer zu gehen. Drei, vielleicht vier Yards noch, und er hatte es geschafft. Dann mußte er die Wassersäcke aufblasen und sehen, daß die Luft nicht wieder ausströmte. Aber das war leicht, denn er brauchte nur den Spund eines jeden Schlauches mit der herabhängenden Schnur zu verschließen, und er hatte sein improvisiertes Floß.
Im Augenblick jedoch war der Fluß ein gesuchter Platz. Eine lärmende Gruppe badete, und Pferde wurden zum Saufen heruntergeführt. Storm, die Säcke zusammengepreßt unter einem Arm, ging in Deckung und suchte sich einen Weg durch das schilfbewachsene Ufer. Jeden Moment erwartete er, den Alarmruf hinter sich zu hören.
Aber es geschah etwas anders. Er entdeckte Rain zwischen den Pferden am Fluß. Der Hengst reagierte äußerst unfreundlich auf diese Behandlung, und er war offensichtlich schlechtester Laune. Ein schwarzes Pferd wieherte und forderte ihn heraus, und der rotgefleckte Gaul war nur zu bereit, die Herausforderung anzunehmen. Der Reiter, der sie heruntergebracht hatte, trieb sein eigenes Tier dazwischen und versuchte, sich mit der Peitsche Respekt zu verschaffen.
Aber bei Rain war das ein völlig falscher Schritt. Der Hengst, den keine Peitsche mehr berührt hatte, seit Storm ihn aus Larkins Korral beim Raumhafen herausgeholt hatte, wurde jetzt vollkommen wild. Und Rain, obwohl jung, war ein gefährlicher Gegner, als er jetzt mit Hufen und Zähnen zu kämpfen begann.
Storm schlüpfte ans Wasser hinunter. Die Aufmerksamkeit aller Männer am Fluß war jetzt auf das um sich schlagende, schreiende Pferd
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