TS 74: Der Letzte der Navajos, Teil 2
Band von dem weit zurückliegenden Tag, als Na-Ta-Hay dem kleinen, verängstigten Jungen seinen harten Willen aufgezwungen hatte, dem Kind, für das sein Großvater so groß und mächtig war, wie einer der sagenhaften Alten, bis zur Gegenwart und dem Tag, an dem er in der Zentrale gelandet war, als Na-Ta-Hays Geist sich wie ein Schatten über alle seine Erinnerungen von Terra, seiner jetzt zerstörten Heimat, legte.
Er hatte sich an diesen Schatten geklammert und an den Schwur, den er abgelegt hatte, und diese beiden zum Anker in einer turbulenten Welt gemacht. Storm hatte seinen Haß gegen Quade genährt, weil er seinem Leben einen Sinn geben mußte, obwohl etwas in ihm versucht hatte, diese Tatsache zu leugnen. Jetzt erkannte er das alles – so klar, so deutlich!
Das war es, was ihn davon zurückgehalten hatte, den Streit bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Siedler auszutragen. Solange er den Kampf hinauszögern konnte, solange konnte er weiterleben. Danach hatte sein Leben keinen Sinn mehr.
In seiner Erinnerung stand Na-Ta-Hay als ein Symbol für alles, was er verloren hatte. Auf seltsame Weise erhielt sich der Terraner am Leben, indem er sich an die Aufgabe klammerte, die ihm der andere gesetzt hatte.
Die in der Zentrale mit ihrem Mißtrauen ihm gegenüber hatten recht gehabt. Er war dem Wahnsinn der Männer, die ihre Welt verloren hatten, nicht entgangen, bei ihm kam er nur anders und viel befremdlicher zum Ausdruck.
Jetzt war nur noch Leere in ihm, Leere und die Erwartung der Furcht, die hinter der durchbrochenen Barriere lauerte, um im richtigenAugenblick hervorzukriechen und ihn ganz in Besitz zu nehmen. Na-Ta-Hay hatte ihm keinen Anker gegeben, sondern nur eine Illusion.
Jetzt stand er am gleichen Abgrund des Wahnsinns, an dem Bister gestanden hatte. Denn seine Rasse, genau wie die Bisters, konnte ohne Wurzeln nicht existieren. Wurzeln in einem Land, in einem Stamm.
Storm wußte nicht, daß er zitterte, sich in die Kissen wühlte auf der Suche nach dem Vergessen, das nicht kommen wollte. Seine Hände fielen vom Gesicht und blieben schlaff auf den Falten der Decke liegen, aber er konnte die Augen nicht öffnen. Denn er spürte, daß er das Wandbild jetzt nicht ansehen durfte, und nicht den Mann, der ihm die Wahrheit gesagt und ihm die ganze Größe seines Verlustes vor Augen geführt hatte.
Dann spürte er, wie seine Handgelenke warm umschlossen wurden. Finger umklammerten sie, als müßten sie ihn aus der auf ihn eindringenden Dunkelheit reißen.
„Auch hier ist deine Familie!“
Zuerst waren die Worte nur Laute, dann erfaßte er ihren Sinn. Sein leerer Geist wiederholte sie immer wieder. Storm schlug die Augen auf.
„Woher wußtest du?“ Er flehte um Beteuerung, daß echtes Verständnis für das, was er brauchte, die Wahl der Worte beeinflußt hatte, nicht der Zufall.
„Woher ich es wußte?“ Brad Quade lächelte. „Sind die Dineh die einzig Weisen, mein Sohn? Gibt es nur einen Stamm, der Wurzeln in der eigenen Erde sucht? Dies war dein Heim, es hat immer auf dich gewartet. Deine Mutter hat geholfen, es herzurichten. Du bist nur ein bißchen spät gekommen, ungefähr – laß mal sehen – ungefähr achtzehn Erdenjahre zu spät!“
Storm machte nicht den Versuch, darauf zu antworten. Seine Augen wanderten wieder zu dem Wandbild hinüber. Aber jetzt war es nur noch eine bemalte Wand, voll Heimweh, voll Schönheit, aber ohne die Macht, ihn zu verzaubern.
Ein leises Lachen kam von der Tür, und er sah auf. Logan mußte hinausgegangen sein. Jetzt kam er zurück. Er stand da mit Baku auf der Schulter, wie er so oft auf Storms Schulter gesessen hatte, während Surra um seine Beine strich. Die große Katze kam und legte ihre Vordertatzen auf das Bett. Mit großen Augen betrachtete sie Storm, während Hing auf Logans Arm saß und eifrig zwitscherte.
„Rain ist im Korral. Er wird noch ein paar Tage auf das Wiedersehen mit dir warten müssen.“ Brad lockerte nicht den Griff um Storms Handgelenke. „Hier ist deine Familie, und hier ist die Wahrheit!“
Storm stieß einen langen, zitternden Seufzer aus, der fast schon etwas mehr war. Seine Hände lagen ruhig und schöpften Kraft aus der Wärme der anderen, die sie umschlossen hielten.
„Ya-ta-hay“, sagte er. Er war müde, so schrecklich müde, aber die Leere in ihm war mit tiefer und beständiger Zufriedenheit ausgefüllt, die, dessen war er gewiß, ihn nie mehr verlassen würde. „Gut, sehr gut!“
ENDE
Der 1. Teil dieses
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