TS 91: Bis in die Unendlichkeit
auf seinem Gesicht ein Brennen, durch die chemische Reaktion verursacht.
Er riß sein Taschentuch heraus und reinigte so schnell wie möglich die Hände, das Gesicht und die nackten Stellen seines Körpers. Als er draußen anlangte, blieb er stehen und versuchte verwirrt zu begreifen, was geschehen war.
Das Dorf schien unverändert.
Ein sanfter Lufthauch spielte mit den Blättern, und die Sonne hing über einem spitzen Berggipfel. Nach ihrem Stand schätzte Jenner, daß es wieder Morgen war, und daß er zumindest zwölf Stunden geschlafen hatte. Das Tal war in grellweißes Licht getaucht. Halb verborgen hinter den Baumwipfeln und Büschen blitzten und schimmerten die Gebäude.
Er schien in der einzigen Oase einer unendlichen Wüste zu sein. Eine Oase war es schon, dachte Jenner bitter, aber nicht für menschliche Wesen. Mit ihren giftigen Früchten bildete sie für ihn eher eine Fata Morgana.
Er ging in das Gebäude zurück und spähte vorsichtig in den Raum, in welchem er geschlafen hatte. Der Gas-Sprühregen hatte aufgehört. Von dem beißenden Geruch war keine Spur mehr wahrzunehmen, und die Luft war klar und rein.
Er schob sich behutsam über die Schwelle, halb in der Absicht, einen Versuch zu machen. Vor seinem geistigen Auge sah er das Bild eines längst vergessenen Marswesens, das sich in der Box genießerisch räkelte, während der erfrischende chemische Sprühregen auf seinen Körper niederrieselte. Die Tatsache, daß diese Dusche für menschliche Wesen tödlich war, betonte nur noch die Fremdartigkeit des Menschen den Wesen gegenüber, die den Planeten einst bevölkert hatten. Über den Zweck dieses Gasregens konnte allerdings kein Zweifel aufkommen. Das Wesen, das hier gehaust hatte, pflegte allmorgendlich ein Brausebad zu nehmen.
Jenner setzte sich auf den Boden des „Badezimmers“ und streckte vorsichtig seine Beine in die Box, in der er geschlafen hatte. Kaum befand er sich bis zu den Hüften darin, sprühte aus der glatten Decke ein Strahl gelblichen Gases genau auf seine Beine herab. Hastig rutschte Jenner aus der Box. Der Gasregen hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte.
Er versuchte es noch einmal, um sicherzugehen, daß es sich hierbei nur um einen automatischen Prozeß handelte. Die „Dusche“ sprang an, dann schaltete sie sich von selbst aus.
Erregt befeuchtete Jenner mit der Zunge seine aufgesprungenen Lippen. Er dachte, wenn das hier eine automatische Einrichtung ist, dann könnte es auch noch andere geben.
Keuchend rannte er in den äußeren Raum. Vorsichtig schob er seine Beine in eine der beiden Boxen. In dem Augenblick füllte sich der Trog neben der Wand mit einem dampfenden schleimigen Brei, als er sich bis zu den Hüften hineinwagte.
Mit widerwilliger Faszination starrte er auf das schmierig aussehende Zeug – Essen und Trinken! Er dachte an die giftige Frucht und fühlte sich abgestoßen – aber er zwang sich, sich niederzubeugen und einen Finger in die heiße, nasse Substanz zu stecken.
Vorsichtig kostete er den Brei.
Er war geschmacklos und klebrig wie gekochte Sägespäne. Dickflüssig glitt er seine Kehle hinab. Seine Augen begannen zu wässern, und seine Lippen zogen sich krampfhaft zuckend zurück. Er fühlte, daß er sich übergeben mußte, eilte zum Ausgang, schaffte es aber nicht mehr ganz.
Als er endlich draußen war, fühlte er sich ermattet und vollkommen mutlos. In dieser niedergedrückten Verfassung fiel ihm plötzlich das schrille Pfeifen wieder auf.
Er war erstaunt, daß er dieses nervenaufreibende Geräusch auch nur ein paar Minuten lang hatte überhören können. Aufmerksam sah er sich nach allen Seiten um und versuchte, den Ursprung des Pfeifens zu bestimmen. Es schien jedoch keinen zu besitzen. Jedesmal, wenn er sich einer Stelle näherte, wo es am lautesten erschien, verklang es oder wechselte plötzlich auf die andere Seite des Dorfes über.
Er versuchte sich vorzustellen, was so ein nervenzerrüttendes Pfeifen wohl für eine fremde Rasse bedeutet haben mochte – wobei allerdings zu bedenken war, daß sie es nicht unbedingt als unangenehm empfunden haben mußte.
Er blieb stehen und schnippte mit den Fingern, als ihm ein wilder, aber durchaus plausibler Einfall kam. Konnte dies etwa Musik sein?
Er spielte mit der Idee und versuchte, sich das Dorf vorzustellen, wie es früher ausgesehen haben mußte. Möglicherweise waren musikliebende Wesen hier ihren täglichen Pflichten nachgegangen, begleitet von den zarten Klängen einer
Weitere Kostenlose Bücher