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TS 96: Menschen auf fremden Sternen

TS 96: Menschen auf fremden Sternen

Titel: TS 96: Menschen auf fremden Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chad Oliver
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Mittelklasse, möchte ich sagen.
    Das Loch in der Mitte der Platte ist für Willy. Er zwängt sich dort hindurch und bedient die Schalter und vor allem den großen Transformer. Das Gebirge im Süden besteht aus Draht, Sägespänen, alten Zeitungen und Leim. Im Westen stehen ein paar verstaubte Schaumgummibäume, angeblich Ulmen. Dahinter liegt eine leere Fläche, die der Bursche Texas nennt. Dort stehen auch ein paar stupide Kühe herum und zwei Kerle, die zum Wochenende in die Stadt kommen und randalieren. Das Silberpapier im Nordwesten ist der Ohio. Er endet am Rand der Platte. Vielleicht fließt er von dort wie ein mächtiger Wasserfall auf den Fußboden. Leider war noch nie einer von uns da, um sich das anzusehen. Die Stadt liegt am Fuß der Berge. Ich lebe in dieser öden Stadt, direkt neben dem Wasserturm am Bahnhof.
    Der Aufbau unserer Stadt ist geradezu lächerlich. Wir haben eine Polizeiwache mit einem Gefängnis, ein paar Wohnhäuser, Lagerschuppen, ein Hotel und vor allem einen Bahnhof aus Blech mit einem feuerroten Dach. Vor dem Hotel steht eine zerbeulte Straßenbahn, aber sie fährt nie, weil es keine Schienen gibt. Es gibt auch eine Tankstelle, aber nicht ein einziges Auto. Ansonsten sind da noch ein paar Häuser mit schmutzigen Gardinen und eine Stellwerkhütte neben den vielen Weichen. Humphry wohnt dort. Er muß nämlich immer hinaus, wenn ein Zug vorbeikommt. Dabei muß er eine rote Laterne schwenken. Das ist eine stupide Beschäftigung, die er maßlos haßt, zumal direkt gegenüber die zum Transport in die Stadt getriebenen Rinder in einem offenen Verschlag stehen. Der Gestank ist entsetzlich, weil es in unserer Welt keinen Wind gibt.
    Ist das nicht ein Paradies?
    Willy hat jetzt zwei Züge auf der Platte, einer davon ist ein chromblitzender Expreß mit lauter eingebildeten Fatzken, die immer die Times lesen, wenn sie durch unsere Stadt fahren. Der andere Zug besteht aus einer billigen Lokomotive und entsetzlich vielen ratternden Güterwagen, die nie etwas transportieren. Der Zug poltert wie ein irrsinniger Roboter immer im Kreise herum und macht nichts als Lärm. Seine einzige Aufgabe besteht wohl darin, sich auf ein Abstellgleis schieben zu lassen, wenn der feine Expreß durch die Station donnert. Um das Maß voll zu machen, hat Willy noch eine Rangiermaschine gekauft, ein fleißig ratterndes Ungeheuer mit einer Glocke hinter dem Schornstein.
    Nun, wie gefällt dir unsere Stadt?
    Langweilig?
    Dann will ich dir etwas sagen, mein Freund. Wir werden einen Mord begehen. Wir, das heißt die ganze Stadt.
    Nun rate mal, wen wir umbringen wollen. Bleibe eine Weile hier und sieh dir das Theater an. Wenn der Strom abgeschaltet ist, gibt es hier nicht viel zu sehen, alles ist grau und leblos. Wir haben dann eben keine Energie. Nachts ist es besonders schlimm, weil kein Mensch so lange schlafen kann.
    Aber ich höre Schritte auf der Treppe. Da wird auch schon die Tür geöffnet, und Willy kommt herein. Bleibe ruhig hier, Clyde. In wenigen Minuten wird hier oben der Teufel los sein. Entschuldige mich einen Augenblick. Ich muß Humphry wecken, damit er noch rechtzeitig in sein Stellwerk schlüpfen kann.
    Noch etwas, Clyde: Wenn du dich mit Willy unterhalten kannst, sage ihm, er soll sich vorsehen, wenn er durch das Loch kriecht. Er ist fett geworden und schüttelt jedesmal unsere Welt durcheinander.
     
    *
     
    Willy Roberts betrachtete seine Modellbahn ohne Freude. Er schämte sich fast, noch damit zu spielen, denn er war nun schon dreizehn Jahre alt. Aber es war besser, als sich auf dem Spielplatz von anderen herumstoßen zu lassen.
    Willy kroch unter den Tisch, zwängte sich durch das Loch in der Mitte und schaltete den Trafo ein. Die Lichter der Stadt leuchteten auf, die ganze Landschaft erwachte zu geschäftiger Aktivität.
    Dann klopfte er mit den Fingerknöcheln auf das Blechdach des Stellwerks.
    „Na, dann los, Humphry!“
    Er hatte den Mann am Stellwerk schon immer so genannt und lange Gespräche mit ihm geführt. Früher hatte es ihm Spaß gemacht, aber nun langweilte es ihn. Er kam sich albern vor und wurde deshalb brutal.
    „Nun mach schon, oder ich reiße dir einen Arm aus!“
    „Was willst du eigentlich – Überstundenbezahlung, geregelte Arbeitszeit? So etwas gibt es hier nicht. Also los! Da kommt der schwarze Expreß mit lauter FBI-Agenten, die Atomspione jagen.“
    Willy riß einen Hebel bis zum Anschlag durch und startete den Expreß. Die Räder rutschten erst auf den blanken Schienen,

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