TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
geregelter Marschordnung. Als Fahne trugen sie eine lange, im Wind flatternde Lederschlange, die an einer Stange befestigt war.
Das waren die besten und bestimmt auch die vielseitigsten Soldaten des 6. Jahrhunderts, und jedermann fürchtete sie. Padway hatte auch kein besonders zuversichtliches Gefühl, als er sie beobachtete. Dann kamen dreitausend isaurianische Bogenschützen, die zu Fuß marschierten, und schließlich weitere zweitausend Kürassiere.
Liuderis, der neben Padway lag, meinte:
„Das ist eine Art Signal. Ja, ich nehme an, daß sie dort ihr Lager aufschlagen werden. Woher wußtet Ihr, daß sie diese Stelle aussuchen würden, Martinus?“
„Einfach. Ihr erinnert Euch doch an das kleine Gerät, das ich am Wagenrad hatte? Das mißt Entfernungen. Ich habe die Entfernungen auf der Straße gemessen; da ich ihren normalen Tagesmarsch und die Stelle, von der aus sie abmarschierten, kannte, war das ganz einfach.“
„Hm, wunderbar. Wie kommt Ihr nur auf alle diese Dinge? Soll ich den Ingenieuren jetzt Anweisung geben, Brunhilde aufzubauen?“
„Noch nicht. Wenn die Sonne untergeht, werden wir den Abstand zum Lager messen.“
„Wie wollt Ihr das tun, ohne gesehen zu werden?“
„Ich zeige es Euch, wenn die Zeit dafür kommt. Sorgt Ihr inzwischen dafür, daß die Leute sich ruhig verhalten.“
Die Byzantiner bauten ihr Lager schnell und äußerst exakt. Das waren wirkliche Soldaten, dachte Padway. Mit Männern wie diesen konnte man etwas ausrichten. Es würde lange Zeit dauern, bis die Goten diesen Stand erreichten. Für sie war der Krieg immer noch ein kindliches Vergnügen.
Bruchstücke von Liedern klangen aus dem Lager zu ihnen herauf. Offenbar hatte Padways raffinierter Plan, eine Wagenladung Branntwein so stehen zu lassen, daß Belisarius’ Soldaten sie finden konnten, Erfolg gehabt – und das trotz der bekannten Strenge, die Belisarius gegenüber betrunkenen Soldaten an den Tag legte.
Jetzt wurden Säcke mit Schwefelpaste herausgebracht. Die Ingenieure hatten inzwischen Brunhilde, das riesige Katapult, in Stellung gebracht. Padway sah auf seine Uhr. Es war beinahe Mitternacht.
„Fertig?“ fragte er. „Ersten Sack anzünden.“ Die ölgetränkten Lappen wurden entzündet. Der Sack wurde in die Schlinge gelegt. Padway selbst zog an der Lafette.
„Ffft – whutimm!“ machte Brunhilde. Der Sack beschrieb eine feurige Parabel. Padway rannte den kleinen Bergabhang hinauf, der Schutz vor den Augen der Feinde bot. Er sah nicht, wie der Sack im feindlichen Lager landete, aber das betrunkene Grölen der Soldaten hörte schlagartig auf, und man vernahm jetzt ein Summen. Hinter ihm krachten Peitschen und ächzten Geschirre, als die Pferde sich ins Zeug legten. Er hatte eigens eine Vorrichtung für schnelles Wiederladen geschaffen.
Whuumm! Der zweite Sack verlor mitten im Flug seine Zündschnur und setzte daher harmlos über dem Lager ab. Aber ganz egal, in den nächsten paar Sekunden würde der dritte Schuß folgen. Und noch einer. Das Summen war diesmal lauter, und man hörte zwischendurch die Befehle der Unterführer.
„Liuderis!“ rief Padway. „Gebt Euer Signal!“
Drüben im Lager begannen die Pferde aufgeregt zu wiehern. Der Geruch von Schwefeldioxyd erschreckte sie. Gut, auf diese Weise würde vielleicht die kaiserliche Kavallerie bewegungsunfähig werden. Irgend etwas im Lager brannte mit grellen, hochzüngelnden Flammen. In diesem Licht sah man eine Kompanie Goten zu Padways Rechten, die sich über das unebene Terrain vorarbeitete. Ihre großen, runden Schilde waren weiß bemalt, damit man sie erkannte, und jeder einzelne Mann hatte sich einen feuchten Lappen über die Nase gebunden. Zumindest sollte es ihnen gelingen, die kaiserlichen Truppen zu erschrecken, wenn sie schon sonst nichts ausrichteten, dachte Padway.
Als die Goten vorrückten, wurde der Lärm noch lauter. Hinzu kamen jetzt die Schlachtrufe, das Schwirren der Bogensehnen und schließlich das Klirren der Schwerter. Padway konnte „seine“ Männer sehen, die sich schwarz vor dem Feuerschein abhoben. Sie wurden immer kleiner, bis sie im Graben des Lagers schließlich ganz verschwanden. Dann war nur noch ein undeutliches Durcheinander von Bewegungen zu sehen, und ein Heidenlärm setzte ein, als die Angreifer sich auf der anderen Seite wieder in die Höhe arbeiteten – unsichtbar, bis sie wieder im Schein der Flammen auftauchten – und sich unter die Verteidiger mischten.
Einer der Ingenieure rief ihm zu, die
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