TS 99: Exil auf Centaurus
Schlafen ausgesucht, ihn hingebracht und alleingelassen. Er kauerte sich unter einem Busch zusammen, zog die Knie an, überkreuzte die Arme vor der Brust. Er sah aus wie eine Mumie. Die Kälte drang ihm bis ins Mark.
Er hörte jemanden kommen und drehte sich um. Das war entweder Newsted oder Potter.
„Michael?“ Es war Potter.
„Ja?“
„Gott sei Dank, daß ich Sie gefunden habe“, sagte der Centaurer. „Wenn ich schon im Freien schlafen muß, dann lieber bei jemandem, dem das Ganze hier auch neu ist. Diese Leute geben sich keine große Mühe, uns heimisch fühlen zu lassen, nicht wahr?“
„Nein – nein.“
„Aber natürlich, sie sind auch überreizt und angespannt. Ich würde es an Ihrer Stelle nicht zu ernst nehmen.“
„Sie müssen sich nicht für sie entschuldigen“, gab Michael Wireman scharf zurück. Schließlich waren es ja seine Leute und nicht Potters.
„Tut mir leid, Michael. Ich wollte Ihnen noch für die Unterstützung vorhin danken.“
„Ich glaube, sie haben sich nicht fair benommen. Nun“, meinte er dann, um ein anderes Thema anzuschneiden, „morgen fangen wir an.“
„Ja“, sagte Potter.
Sie lagen in der Dunkelheit, und Michael Wireman hing seinen Gedanken nach.
Es schien ihm gut, daß er hier war. Vielleicht konnte er nicht viel tun, aber er konnte Hammil im Auge behalten und nötigenfalls, sollte dieser bewußt seine Macht für eigene Vorteile mißbrauchen, als Zeuge gegen ihn auftreten.
Er war überrascht, solche Gedanken zu haben. Wer hätte vermutet auf Cheiron, daß Hammil unwürdig wäre, die Erde zu befreien? Sicherlich nicht Michael Wireman. Thomas Harmon? Hatte Harmon genug über Hammil gewußt, um zu diesem Urteil zu gelangen?
Es schien ihm sehr unwahrscheinlich. Vielleicht hatte Harmon gespürt, daß etwas nicht in Ordnung war.
Er wußte ja so wenig von der Erde. Seine Mutter hatte sich an historische Details nicht erinnert. Aber Stunde um Stunde, in seiner Kindheit, hatte er ihren Erzählungen über heroische Erdenmenschen gelauscht: Über Karl den Großen, Cäsar, Napoleon, Washington und so die erhabene Vergangenheit der Erde in sich aufgenommen. Es war nicht sicher, wo und in welchem Land Karl der Große gelebt und gekämpft hatte. Er kannte ihn jedoch als streng, was Rechte und Pflichten betraf, die Grundsätze der Gerechtigkeit, und aufopfernd in der Liebe zu seinem Land – so wie alle berühmten Männer auf der Erde gewesen waren.
Michael Wireman hoffte natürlich nicht, ein zweiter Karl der Große zu werden. Er fürchtete sich vor dem Tod und glaubte nicht, die moralische Widerstandsfähigkeit zu haben, bei körperlichem Schmerz lachen zu können. Diese Voraussetzungen für jeden wahren Führer hatte er einfach nicht geerbt. Als kleiner Bub hatte er die üblichen Kinderträume gehabt. Aber er war jetzt älter und sich vollkommen des Unterschieds bewußt, der zwischen ihm und jenen berühmten Männern bestand. Er wußte nicht, was er vom Leben wollte. Er war bereit, alles zu nehmen, was es ihm gab, da er doch nicht erwarten konnte, gleiche Belohnung zu erhalten wie Männer mit starker Persönlichkeit. Er war außerordentlich froh, wenigstens ein Gewehr im Kampf um die Befreiung der Erde tragen zu dürfen.
Obwohl er manchmal bedauerte, daß sein Vater nie Zeit gehabt hatte, ihm die Weltanschauungen führender Politiker auseinanderzusetzen, sah er doch ein, daß dies sein eigener Fehler war. Als Kind hätte er mehr Interesse dafür zeigen sollen. Jetzt vielleicht, durch persönliche Erfahrungen, würde er ein wenig in jene Atmosphäre hineinkommen. Unter Umständen könnte er sich dann mit seinem Vater besser verstehen.
„Diese Kälte!“ klagte Isaac Potter mit klappernden Zähnen.
Michael Wireman hatte auch über Potter nachgedacht und fühlte sich nun versucht, eine waghalsige Bemerkung zu machen. „Ich dachte, ihr wäret abgehärteter, ihr vom C.S.O.-Geheimdienst“, sagte er.
„Wie? Was soll das?“ Isaac Potter zitterte.
„Nichts, mein nervöser Freund, nichts.“ Michael Wireman lächelte weise vor sich hin.
„Aufstehen!“
Das war Newsteds Stimme. Er selbst war nicht zu sehen, dafür spürte er dessen Schuhspitze im Kreuz. Steif und wund, gepackt von einem Schüttelfrost und naß bis auf die Haut, wachte Michael Wireman auf. Dicke grau-weiße Nebelschwaden zogen vorüber. Er zwang sich aufzustehen und tauchte aus dem Bodennebel empor. Klebrig und weiß, etwa einen halben Meter stark, schlängelte sich dieser den Abhang hinunter,
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