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TS 99: Exil auf Centaurus

TS 99: Exil auf Centaurus

Titel: TS 99: Exil auf Centaurus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Algis Budrys
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zweiten Jahr der Besatzung passiert, so hätte er genauer nachgesehen. Aber jetzt tat er es nicht. „Fast hätte ich Sie erschossen, wissen Sie das?“ brummte er zur harmlosen Frau und lief weiter.
    Mit nassen, zusammengekniffenen Augen schaute Mrs. Lemmon ihm nach. Es schien ihr, als hätte sie es bereits immer gewußt, daß diese Fremden schlecht waren.

 
6.
     
    Da war ein kleiner Waschraum – ein schmutziger, rostfleckiger, unangenehm riechender Platz – vor dem unordentlichen Keller. Michael Wireman ging zum Waschbecken und wischte und zog mit zusammengepreßten Lippen die klebrige Kruste von den Wangen und der Stirn. Wie er nun sah, war die Stirnwunde so groß, daß sie wohl oder übel genäht werden mußte. Um die Augen hatte er enorme, blutunterlaufene Quetschungen erlitten. Das gebrochene Nasenbein schmerzte.
    Er starrte sich im stellenweise blinden Spiegel an. Mein Gott, dachte er, was habe ich mir da angetan? Weshalb?
    Gäbe es Gerechtigkeit auf dieser Welt, dachte er, so dürfte ich jetzt nicht hier in relativer Sicherheit sein. Die Frau hätte mich nicht einlassen dürfen, der Garagen-Korporal hätte in der Lage sein müssen, mich gefangenzunehmen, und, was am wichtigsten ist, der junge feindliche Wachsoldat hätte nicht sterben dürfen.
    Welch unvorstellbare Regeln herrschten in einem Universum, in dem ein Mann mit gutem Willen und edlen Vorsätzen zum Mörder werden konnte? Wer hatte entschieden, daß Michael Wiremans Flucht das Leben eines anderen Menschen wert war?
    Es schien Michael Wireman nur zu gerecht, daß er durch beinahe untragbare Qualen gestraft werden sollte. Gierig war er auf den Korridor gestürzt, wie ein Räuber, und das kam ihm jetzt so niederträchtig vor, so selbstsüchtig, daß er es mit einer vernünftigen Welt nicht in Einklang bringen konnte.
    Was hatte ihn dazu berechtigt, ein intelligentes menschliches Wesen zu überfallen? Er hatte ihm Leben und Schicksal geraubt. Und wofür? Damit Michael Wireman noch eine Weile frei herumlaufen konnte? Wer war Michael Wireman, daß er diese Art von Preis verdiente? Und diese Art der Verdammnis?
    Beklommenen Herzens durchsuchte er die dürftigen Erste-Hilfe-Vorräte im Schrank. Er wußte, daß die Fremden in Kürze ihre Bemühungen um seine sofortige Gefangennahme einstellen und folgern würden, daß er Unterschlupf gefunden hatte. Sie würden mit der langsamen, systematischen Suche anfangen, die ihn unweigerlich früher oder später zutage bringen mußte, wenn er so nahe dem Hauptquartier blieb, von wo aus die Suche starten würde.
    Was nun? schrie es in seinen Gedanken. Wo machte ich den ersten Fehler in dieser Kette schrecklicher Irrtümer?
    Ein weniger leidenschaftlicher, stabilerer Mensch als Michael Wireman hätte es nach und nach herausbekommen. Einem weniger analytischen Menschen wäre es gleichgültig gewesen. Beinahe jeder Mensch, außer Michael Wireman, wäre zu irgendeiner Lösung gelangt, oder hätte geglaubt, keine zu brauchen. Aber alle diese Menschen wären nie in die Lage gekommen, in der Michael Wireman sich jetzt befand.
    Dort unten im Waschraum war Michael Wireman nahe daran, sich zu ergeben. Er hätte es tun können, und die Welt hätte nichts davon erfahren. Es gab sicher Tausende von Menschen, die im Lauf der Weltgeschichte auf solche Augenblicke gestoßen waren und sie größtenteils mit lebenslanger Passivität bezahlt hatten.
    Automatisch begann er sich zu verarzten. Er stopfte Watte in die Nasenlöcher und verband den verletzten Finger. Dann bepinselte er die Ränder der blutenden Stirnwunde mit Jod und klebte rasch ein Heftpflaster darüber. Es war das beste, was er tun konnte, aber das Pflaster löste sich immer wieder. Wiederholt trocknete er die Haut ab und legte den Verband so schnell wie möglich an, so daß es ihm schließlich doch gelang, etwas Haltbares zustandezubringen. Es schaute sehr laienhaft aus, aber jetzt konnte er wenigstens sein Gesicht reinigen. Unversorgt war nur noch die zerbrochene Rippe. Er zog gerade das fleckige Uniformhemd aus, als er schüchternes Klopfen an der Tür hörte.
    „Ja?“ Seine näselnde Stimme überraschte ihn.
    „Sind Sie es, da drinnen?“ fragte die Frau durch die Tür. „Ist alles in Ordnung?“
    „Ja.“ Was sollte er mit der Frau machen? Wie lange konnte man sich auf sie verlassen?
    „Kann ich Ihnen helfen?“
    Hilfe? Daran hatte er gar nicht gedacht. Er fühlte sich noch immer vollkommen allein. „Ach ja, haben Sie bitte irgendwo eine Rolle

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