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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Ungefähr ein Dutzend Leute stand im Vorgarten und in der offenen Haustür, Leute mit Gläsern und Flaschen und Handys und Zigaretten in den Händen. Unmengen hinten im Garten. Bekannte und unbekannte Gesichter, aufgedonnerte Mädchen aus der Parallelklasse. Und wie eine Sonne mittendrin Tatjana. Wenn sie schon die größten Trottel und Russen nicht eingeladen hatte, hatte sie doch sonst alles eingeladen, was laufen konnte. Das Haus blieb langsam hinter uns zurück. Keiner hatte uns gesehen, und mir fiel ein, dass ich ja überhaupt keinen Plan hatte, wie ich Tatjana die Zeichnung geben sollte. Ich dachte ernsthaft darüber nach, sie während der Fahrt aus dem Fenster zu werfen. Irgendwer würde sie schon finden und zu ihr bringen. Aber bevor ich noch irgendwas Bescheuertes tun konnte, bremste Tschick schon und stieg aus. Entsetzt sah ich ihm hinterher. Ich weiß nicht, ob Verliebtsein immer so peinlich ist, aber anscheinend habe ich kein großes Talent dafür. Während ich mit mir kämpfte, ob ich endgültig im Fußraum versinken und mir die Jacke über den Kopf ziehen oder zurück auf den Sitz klettern und ein unbeteiligtes Gesicht machen sollte, schoss hinterm rotgeklinkerten Haus eine Rakete in den Himmel und explodierte rot und gelb, und fast alle rannten in den Garten zum Feuerwerk. Allein André mit seinem Mountainbike und Tatjana, die ihn begrüßen gekommen war, standen noch auf dem Bürgersteig.
    Und Tschick.
    Tschick stand jetzt direkt vor ihnen. Sie starrten ihn an, als ob sie ihn nicht erkennen würden, und wahrscheinlich erkannten sie ihn wirklich nicht. Denn Tschick hatte meine Sonnenbrille auf. Außerdem trug er eine Jeans von mir und mein graues Jackett. Wir hatten den ganzen Tag meinen Kleiderschrank ausgeräumt, und ich hatte Tschick drei Hosen und ein paar Hemden und Pullover und so was geschenkt, mit dem Ergebnis, dass er nun nicht mehr aussah wie der letzte Russenarsch, sondern wie ein Kleiderständer aus «Gute Zeiten, schlechte Zeiten». Wobei das keine Beleidigung sein soll. Aber er sah sich einfach selbst nicht mehr ähnlich, und dann hatte er auch noch eine Ladung Gel im Haar. Ich konnte sehen, wie er Tatjana ansprach und sie antwortete – irritiert antwortete. Tschick winkte mir hinter seinem Rücken mit der Hand. Wie hypnotisiert stieg ich aus, und was dann passierte – frag mich nicht. Ich weiß es nicht mehr. Plötzlich stand ich mit der Zeichnung neben Tatjana, und ich glaube, sie guckte mich genauso irritiert an wie vorher Tschick. Aber ich hab’s eigentlich nicht gesehen.
    Ich sagte: «Hier.»
    Ich sagte: «Beyoncé.»
    Ich sagte: «Eine Zeichnung.»
    Ich sagte: «Für dich.»
    Tatjana starrte die Zeichnung an, und bevor sie wieder von der Zeichnung hochgucken konnte, hörte ich schon, wie Tschick zu André sagte: «Nee, keine Zeit. Wir haben noch was zu erledigen.» Er stieß mich an, ging zum Auto zurück, und ich hinterher – und den Motor gestartet und ab. Ich rammte meine Fäuste gegen das Armaturenbrett, während Tschick in den zweiten Gang schaltete und die Straße runterschoss, die eine Sackgasse war.
    «Soll ich’s ihnen noch zeigen?», fragte er.
    Ich antwortete nicht. Ich konnte nicht.
    «Soll ich’s ihnen noch zeigen?», fragte Tschick.
    «Mach, was du willst!», schrie ich. Ich war so erleichtert.
    Tschick raste auf das Ende der Sackgasse zu, riss das Steuer kurz nach rechts und dann nach links, zog an der Handbremse und machte mitten auf der Straße eine 180°-Drehung. Ich flog fast aus dem Fenster.
    «Klappt nicht immer», sagte Tschick stolz. «Klappt nicht immer.»
    Er beschleunigte am rotgeklinkerten Haus vorbei, und nur aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie da immer noch standen auf dem Bürgersteig. Die Zeit schien angehalten zu sein. Tatjana mit der Zeichnung in der Hand, André mit dem Mountainbike und Natalie, die gerade von hinten durch den Garten kam.
    Der Lada schmierte mit sechzig um die nächste Kurve, und meine Fäuste hämmerten auf das Armaturenbrett.
    «Gib Gas!», rief ich.
    «Mach ich doch.»
    «Gib mehr Gas!», rief ich und sah meinen Fäusten beim Hämmern zu. Erleichterung ist gar kein Ausdruck.

18
    Ich lief den dunklen, schmalen Korridor runter, wo nicht viel zu erkennen war, dann links in den Gang mit dem Eisengeländer und drückte mich mit dem Rücken an die Wand, die zwei Tanks und die Türöffnung im Blickfeld. Ich sah Tschick im Dauerlauf um eine Ecke biegen, heftete mich an seine Fersen und konnte sogar von hinten erkennen, wie

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