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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war. Da klingelt man nachts um vier irgendwen aus dem Bett, weil man gar nichts von ihm will, und er ist superfreundlich und bietet auch noch seine Hilfe an. Auf so was sollte man in der Schule vielleicht auch mal hinweisen, damit man nicht völlig davon überrascht wird. Ich war jedenfalls so überrascht, dass ich nur noch rumstotterte.
    «Und … in zwanzig Minuten, gut, ja. Du holst uns ab. Gut.» Zum krönenden Abschluss der Performance wandte ich mich wieder an die Krankenschwester und fragte: «Wie heißt das Krankenhaus nochmal?»
    «Falsche Frage!», zischte der Mann sofort.
    Die Krankenschwester runzelte die Stirn. Mein Gott, war ich blöd.
    «Virchow-Klinik», sagte sie langsam. «Das ist das einzige Krankenhaus im Umkreis von fünfzig Kilometern.»
    «Allerdings», sagte der Mann.
    «Ah … sagt sie auch gerade!», sagte ich und zeigte auf den Telefonhörer.
    «Und aus der Gegend seid ihr auch nicht», sagte der Mann. «Ihr habt ja richtig Scheiße am Hacken. Ich hoffe, ich les wenigstens morgen in der Zeitung, was los war.»
    «Ja, hoffe ich auch», sagte ich. «Mit Sicherheit. Wir warten dann.»
    «Alles Gute euch.»
    «Ihn … dir auch!»
    Der Mann lachte nochmal, und ich legte auf.
    «Hat sie gelacht ?», fragte die Krankenschwester.
    «Ist nicht das erste Mal, dass wir ihr Kummer bereiten», sagte Tschick, der nur die Hälfte verstanden hatte. «Die kennt das schon.»
    «Und das findet sie lustig?»
    «Sie ist cool », erwiderte Tschick, und er betonte das Wort cool so, dass klar war, dass nicht alle Anwesenden in diesem Raum cool waren.
    Eine Weile standen wir noch ums Telefon, dann sagte die Krankenschwester: «Ihr seid vielleicht zwei Früchtchen», und ließ uns gehen.

41
    Wir stellten uns vor den Krankenhauseingang und hielten Ausschau nach Tante Mona. Als wir sicher waren, dass uns keiner beobachtete, rannten wir los. Das heißt, ich rannte und Tschick nicht so. Vor dem Feld stand ein kleiner Zaun. Tschick schmiss die Krücken rüber, dann sich selbst. Nach ein paar Metern auf dem Acker blieb er stecken. Das Feld war frisch gepflügt, und die Krücken versanken darin wie heiße Nadeln in Butter, das ging gar nicht. Er fluchte, ließ die Krücken stecken und humpelte an meiner Schulter weiter. Als wir schätzungsweise ein Drittel vom Acker hatten, drehten wir uns zum ersten Mal um. Die Landschaft hinter uns war blau. Die noch vom Krankenhaus verdeckte Sonne schickte Licht durch Nebel und Baumkronen. Die Krücken, eine etwas umgesunken, standen am Feldrand wie ein barmherziges Kreuz, und im Obergeschoss vom Krankenhaus sahen wir an einem der Fenster, vielleicht sogar an dem Fenster, von dem aus wir den Abschleppkran gesehen hatten, eine weißbekittelte Gestalt, die uns nachschaute. Wahrscheinlich die Krankenschwester, die sich den Kopf darüber zerbrach, was für Bekloppte sie da gerade verarztet hatte. Hätte sie gewusst, wie bekloppt wir in Wirklichkeit waren, hätte sie vermutlich weniger ruhig dagestanden.
    Aber es war ziemlich sicher, dass sie mitbekam, wo wir hinsteuerten, und es war auch sicher, dass sie uns beim Lada ankommen sah. Das Dach und die rechte Seite waren einigermaßen eingedetscht. Allerdings nicht so stark, dass man nicht noch bequem drin sitzen konnte. Die Beifahrertür war im Eimer und ließ sich nicht mehr öffnen, aber über die Fahrertür konnte man einsteigen. Im Innenraum sah es aus wie auf einer Müllkippe. Der Unfall, das Umdrehen und Wiederaufrichten hatten alle unsere Vorräte, Konservendosen, Kanister, Papiere, leere Flaschen und Schlafsäcke quer durchs Auto verteilt. Sogar die Richard-Clayderman-Kassette flog noch zwischen den Sitzen rum. Die Kühlerhaube hatte einen leichten Knick, und wo der Lada auf dem Dach gelegen hatte, klebte eine ölverschmierte Sandkruste. «Ende, aus», sagte ich.
    Tschick zwängte sich auf den Fahrersitz, schaffte es aber nicht, den Gips aufs Gaspedal zu stellen, der war zu breit. Er nahm den Gang raus, steckte die Kabel zusammen, drehte sich ein bisschen im Sitz herum und tippte mit der linken Fußspitze aufs Gas. Der Lada sprang sofort an. Tschick rutschte rüber auf den Beifahrersitz, und ich sagte: «Du hast sie doch nicht alle.»
    «Du musst nur Gas geben und lenken», sagte er. «Ich schalt die Gänge.»
    Ich setzte mich hinters Steuer und erklärte Tschick, dass das nicht ging. Der Tank war halb voll, der Motor im Leerlauf, aber wenn ich nur

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