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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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verminten Waffen gewarnt hatte, hatte sein Fahrrad auf die Stoßstange der M3 gestellt, angebunden und war hinten eingestiegen. Letchus war das erste Mal von seinem geliebten Funkgerät weggeblieben und unterhielt sich angeregt mit dem Franzosen, der sich als Brigadier Pierre Cemposano aus Korsika vorstellte. Er und seine Pionierkameraden waren schon Mitte März 1945 für die Suche, Räumung und Sprengung von Westwallbunkern der Wehrmacht nach Deutschland geschickt worden.
    »Tony, weißt du zufällig, wie ein Holunderbusch aussieht?«
    »Bitte was?« Roebuck sah von seinen Karten auf und musterte kritisch Piece’ rechten Unterarm.
    »Holunder«, presste Jimmy mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor.
    »Keine Ahnung. Bei uns in Roswell gab’s nur Baumwollplantagen und ein paar Mühlen. Wozu brauchst du Holunder?«
    »Für meine Arme. Meine Mutter hat mir immer die zerriebenen Blätter und Beeren auf die Körperstellen gedrückt, wo ich mich an Brennnesseln verbrannt hatte. Ich hab aber vergessen, wie sie aussehen!«
    »Tut mir leid, Jimmy, hab jetzt keine Zeit. Ich kenn mich da nicht aus. Du bist der Medizinmann. Hast du keine Salbe für so was?« Dann wandte er sich wieder den Karten und den Luftbildern zu. Jimmy hatte inzwischen seine Trinkflasche geöffnet und übergoss seine Unterarme vorsichtig mit dem einigermaßen kalten Wasser. Dies brachte zumindest eine kurze Linderung. Dass er anschließend eine nasse Hose und Wasser zwischen den Pedalen hatte, war ihm in diesem Moment vollkommen egal.
    Auf der Ladefläche saß Christine, betrachtete wehmütig ein amerikanisches Luftbild von Ketsch und den Rheinauen und trank nebenbei heißen, gezuckerten Kräutertee, den Roebuck ihr gegen die Erkältung zubereitet hatte. Sogar das Haus und der Hof ihres Vaters und auch Dollmanns Gut waren extrem gut erkennbar. Ihr wurde langsam klar, dass Deutschland mit dieser modernen Technik der Alliierten nicht hatte Stand halten können. Woher hätte sie wissen sollen, dass schon 1912 die deutsche Luftwaffe wesentlich bessere Luftaufnahmen vom Zeppelin aus produziert hatte?
    Inzwischen folgten dem bunten Gemisch aus verschiedenen Panzertypen dann noch knapp zwei Dutzend Lastwagen mit Infanteriesoldaten, die Bier tranken, rauchten, teilweise sangen oder lachten. Zwei Motorräder markierten nach über zwanzig Minuten das Kolonnenende.
    Wegen einer Verletzung durch herumfliegende Trümmerteile nach einer missglückten Bunkersprengung hatte er seine Einheit verloren und war seit Wochen auf der Suche nach ihnen. An vielen Stellen des so genannten Westwalls war er schon gewesen, doch er hatte immer nur bereits gesprengte Befestigungen vorgefunden. Das herrenlose Fahrrad hatte er in dem stark zerstörten Mörsch, südlich von Karlsruhe, requiriert, wo er seine Kameraden vor ein paar Tagen vermutet hatte. Unterwegs dahin, wurde er in Daxlanden von vier Polen verprügelt, die ihn für einen Marokkaner hielten. Diese hatten ihm seinen Rucksack mit den Ausweispapieren und der Dienstpistole entwendet. Er hatte fast die ganze Nacht bewusstlos auf einem Acker gelegen.
    Für den Korsen bedeutete es eine persönliche Ehre, mit den Amerikanern gegen die Deutschen zu kämpfen. Er hasste die ehemaligen Besatzer, da sie seinen Vater zum Krüppel gemacht hatten, als dieser sich wehrte, ein paar Soldaten mit seinem Fischerboot mitzunehmen.
    In der Stille zwischen den Büschen fand Corporal Roebuck endlich einmal eine Gelegenheit, die Details seiner Spezialkarten mit den Luftbildaufnahmen vom März zu vergleichen. Als er gerade mit Christines Hilfe alle Fotos auf der Motorhaube ausgebreitet hatte, erteilte Edwards plötzlich den Befehl zum Abmarsch. Ärgerlich packte er alles wieder ein, die gerade angezündete Zigarette warf er auf den Boden und trampelte sie im platt gedrückten Gras aus.
    Leider nicht richtig. Denn als die Fahrzeuge aus den Büschen herausfuhren und wieder Richtung Neureut abbogen, fing das trockene Gras unter der umgewalzten Vegetation erst an zu glimmen, dann zu rauchen und nach kurzer Zeit zu brennen. Nach drei Minuten standen die meisten Büsche in Flammen, die frischen Triebe und weißen Blütenknospen der überall wild wuchernden Holundersträucher platzten in der sengenden Hitze auf oder verglühten.
    Als die Scout-Einheit Neureut und den knurrigen Wachtposten am Ortseingang erreichte, stiegen hinter ihnen weiß-schwarze Rauchwolken in den Himmel, die trockenen Böschungen am Rande des Tiefgestades bei Eggenstein brannten wie

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