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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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Entschuldigung nicht leicht über die Lippen kam. Uneinsichtig flüsterte er: »Ich hatte aber Vorfahrt.« Dafür erntete er von Edwards einen kleinen Stoß in die Seite.
    Er war knapp fünf Meter weit gekommen und stand jetzt noch ungünstiger auf der Kreuzung als vorher. Verschiedene Passanten waren an der Kreuzung zusammengelaufen, diskutierten über den Unfall und halfen dem Radfahrer wieder auf die Beine. Dieser humpelte um den Kühler herum zu seinem Rad, welches verbogen unter dem linken Vorderrad klemmte. Er hatte sich die Hose aufgerissen und sein Knie blutete. Er versuchte, das Fahrrad am Lenker herauszuziehen, und nachdem dies misslungen war, fing er an, die Amerikaner zu beschimpfen. Auch einige Franzosen waren von ihrem Kontrollposten gekommen, rauchten und schauten neugierig. Ein schwer beladener Heuwagen hatte sich von hinten an den Fahrzeugen vorbeigequetscht und polterte an ihnen vorüber. Der Kutscher sah die Amerikaner nur durchdringend an, grinste aber schadenfroh übers ganze Gesicht.
    Während Vickers aus dem Fahrzeug herauskletterte, ergossen sich Tiraden von Schimpfwörtern über ihn, doch er verstand nichts davon. Edwards, der auch gerade ausstieg, erging es nicht besser, auch er verstand den Radfahrer nicht und konnte nur ahnen, was er von sich gab. Der Mann war etwa Mitte fünfzig, trug einen braunen, zerschlissenen Anzug, einen schwarzen Hut, den er beim Sturz verloren hatte, und verstaubte Lackschuhe. Als er seine Aktentasche mit dem zerstreuten Inhalt sah, schrie er noch lauter. Er schlug mit beiden Händen polternd auf die Haube, doch plötzlich verstummte er, stützte sich mit der rechten Hand auf das Schutzblech des Vorderrades und atmete erst einmal tief durch. Dann lachte er kurz, sah sich ein paar Mal um, während er sich am Hinterkopf kratzte, und fing an, seine Papiere auf dem Boden zusammenzusuchen. Ein paar Passanten halfen ihm dabei. Die Amerikaner sahen ihm verwundert dabei zu.
    Jonas, der rauchend neben der M3 gestanden hatte, hob eins der heruntergefallenen Blätter auf, welches neben seinen Stiefeln lag, und warf einen Blick darauf.
    Er erkannte zwei Namen und Geburtsdaten und verschiedene Termine und jeweils einen sauberen Stempel mit Unterschrift unten rechts auf dem Blatt. Da er mit dem Zettel nichts anfangen konnte, ging er damit zum Dodge, in dem Christine saß und gerade heftig nieste.
    Wortlos drückte er ihr den weißen Papierbogen in die Hand und schaute sie fragend an. Sie überflog kurz das Blatt, schnäuzte sich und fragte: »Wo ist Seite eins?«
    Letchus sah den schweigsamen Corporal an. »Mike, sie möchte die erste Seite.«
    »Ich habe keine. Wo soll ich die hernehmen?«
    »Vielleicht liegt sie hier irgendwo.«
    »Bist du irre! Hier liegen überall Blätter. Das sind mindestens zweihundert Stück! Was steht denn da eigentlich so Wichtiges drauf?«
    »Es sind Geburts- und Sterbeurkunden. Erste Seite Familienname und Adresse, zweite Seite Name des Kindes oder des Verstorbenen mit Geburtsdatum oder Todestag.«
    Letchus nickte bedächtig, Christine wurde blass, Jonas verstand langsam und fing an zu grinsen.
    »… und wenn nicht die beiden Originalseiten beisammen sind, haben die Kinder entweder falsche Namen oder falsche Adressen oder andere Eltern oder die Eltern sind gestorben. Wenn das nicht richtig sortiert wird, müssen alle Leute neu befragt werden, wie ihr Kind heißt und … Auweia!« Christine biss sich auf die Unterlippe und nieste noch einmal. Der ständige Durchzug während der Fahrt auf der Ladefläche des Lastwagens setzte ihr zu.
    »Der Fahrradfahrer ist Standesbeamter oder so was. Der hat jetzt ein Problem!«
    Jonas kicherte, bekam von Letchus aber einen Klaps auf den Hinterkopf.
    »Das ist nicht lustig, Mike! Willst du plötzlich ein Kind von jemand anderem haben oder einen Todesfall statt einer Geburt?«
    Er verstummte und riss sich zusammen. Danach rief er zu Vickers und den anderen herüber: »Jungs, helft dem Mann beim Aufheben! Er hat lauter Urkunden auf der Straße verloren. Wenn am Ende ein Blatt fehlt, sind diese Kinder Waisen, glaub ich.«
    Nun bot sich den Neulußheimern erst recht ein seltsames Bild: Drei amerikanische Soldaten krochen auf allen vieren auf der Kreuzung herum und suchten die großflächig verteilten Papiere zusammen. Private Piece versorgte den Radfahrer medizinisch und Captain Edwards entschuldigte sich bei ihm, während dieser die gesammelten Zettel zu sortieren versuchte.
    »Mein Herr, wir entschuldigen uns noch

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