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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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…« Der Mann verstummte schlagartig, als Edwards, Vickers, van Bouren und Letchus zu Fuß um die Ecke der Kirche kamen und die Menge musterten. Einige Zuhörer hatten es plötzlich sehr eilig, nicht hier gesehen zu werden, und zerstreuten sich in Richtung der Gräber. Hektisch wich der Rest der Masse beiseite und formte eine Gasse, damit die Soldaten besser sehen konnten. Überall wurde leise getuschelt und mit dem Finger gezeigt. Das Wort Amerikaner war mehrfach zu hören.
    Edwards, der die Hände in die Hosentaschen gesteckt hatte, sah den Mann auf der Obstkiste an und rief auf deutsch: »Was wollten Sie mit den Franzosen machen?«
    »Ähem, ich will … ich will … Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was wir noch machen sollen.« Der Mann stieg vorsichtig von der Holzkiste herab und senkte seinen Kopf. »Ich habe hier seit fast sechzig Jahren eine Bäckerei. Ich habe beide Kriege mit viel Not überlebt. Doch jetzt, seit die Franzmänner da sind, ist gar nichts mehr zu essen da. Wir verhungern hier langsam, wenn nicht bald etwas geschieht. Den Generälen in Karlsruhe scheint das aber egal zu sein. Wollen Sie mich jetzt verhaften?«
    »Nein. Wieso? Muss ich Sie denn verhaften?«
    »Weil ich doch die Bevölkerung …«, flüsterte der Mann und verstummte, schaute wieder zu Boden und zitterte am ganzen Körper. »Ich bin August Paulick, der Konditormeister hier im Ort. Ich habe hier vorn mein Geschäft.« Er deutete in Richtung der Hauptstraße.
    »Sie haben doch gar nichts gesagt. Möchten Sie eine Zigarette?« Edwards hielt ihm die Packung mit den Lucky Strikes vor die Nase. »Sie haben nichts gesagt, was die Franzosen oder uns verärgern könnte. Nur Tatsachen. Kommen Sie, nehmen Sie sich eine!«
    Der Mann griff mit zitternden Händen nach dem Päckchen, zog sich eine Zigarette heraus und zündete sie an. Schweigend rauchte er einige Sekunden, bevor er Edwards wieder ansah.
    »Bin ich jetzt verhaftet?«
    »Wer redet hier von Verhaftung?«
    »Die Franzosen verhaften alle, die sich ihnen in den Weg stellen. Viele von uns wurden auch erschossen.«
    »Sehen wir aus wie Franzosen?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Gut. Wir sind definitiv keine Franzosen, sondern Amerikaner Das hätten wir also geklärt. Kommen Sie, wir müssen etwas mit Ihnen besprechen. Ich glaube, ich brauche Ihre Hilfe!« Der Captain zog den verwunderten Alten mit zu den Fahrzeugen. Die Ansammlung der Zivilisten, die um ihn herumgestanden waren, hatte sich bereits fast aufgelöst, nur einige wenige Bewohner unterhielten sich noch leise. Ein Mann aus einem dieser Grüppchen flüsterte im Gehen zum Bäcker: »August, brauchst unsere Hilfe?«
    »Willi, ich sag dir Bescheid. Die wollen angeblich nur mit mir sprechen.«
    »Schrei um Hilfe, wenn Sie dich foltern!«
    Edwards unterbrach den Weg zum Halbkettenfahrzeug, blieb kurz stehen, grinste und sprach den anderen Mann an: »Willi, Sie kommen besser mit. Wir brauchen Sie. Sie und August sind heute unsere Kontaktmänner hier in Neudorf. Haben Sie auch ein Geschäft?«
    »Nein, ich bin der ehemalige Brandmeister der Gemeinde. Bin ich jetzt auch verhaftet?«
    »Nein, sind Sie nicht, verdammt! Wir wollen Sie nicht verhaften, wir möchten nur mit Ihnen beiden sprechen. Wo sind wir hier ungestört?«
    »Kommen Sie, wir gehen zu August ins Geschäft. Das ist geschlossen, seit die Franzosen alle Maschinen gestohlen haben.«
    »Maschinen?«
    »Alle Bäckerei-Maschinen haben sie abgebaut und mitgenommen. Nur der Ofen ist noch da. Der ist im Haus eingemauert.«
    »Lassen Sie uns gehen.«
    Inzwischen hatte es wieder etwas aufgeklart, der Regen hatte aufgehört, nur noch dicke Wolken jagten tief über den Himmel, dazwischen ein paar blaue Löcher.
    August und Willi liefen langsam und vom Alter gebeugt in Richtung Bäckerei. Die vier Soldaten folgten ihnen mit etwas Abstand. Das Gebäude mit der kleinen Treppe zu der Konditorei war mit Einschüssen in der Front übersät, das verrostete Metallgestell der ehemaligen Stoffmarkise hing armselig herunter und wirkte wie die vergammelten Rippen eines Wals. Teile des Daches lagen auf dem Fußweg und auf der Straße. Irgendjemand hatte mit Kreide in großen Lettern ›TORTEN-AUGUST‹ auf die marode Ladentür gemalt.
    Unterwegs hielt neben ihnen ein schwer bepackter Radfahrer und fragte Letchus nach Zigaretten. »Cigarettes, Mister? Chewing gum? Bitte!« Der Mann war unrasiert, hatte einen zerschlissenen Anzug an und trug einen schwarzen Hut mit einem weißen Band, so wie

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