TTB 100: Der Traum der Maschine
man sich auf sie verlassen?
Ances, der Stille ...
Ances war kein gewaltiger Kämpfer. Seine Stärke lag darin, daß er stets an alles dachte. Er war noch jung, nicht ganz einundzwanzig Jahre, aber der beste Späher, den sich ein Banner wünschen konnte, ein stiller, schlanker Page, der hinreißend zur Leier sang und nur eine Waffe beherrschte; die doppelseitige Streitaxt. Er wußte sie ebenso meisterhaft zu handhaben wie die Leier. Nigoel sah auf den kastanienfarbenen Pagenkopf, den der Junge nachdenklich gesenkt hielt.
Das waren die Männer, die den Erzählungen Turan Gays lauschten und die nach Lavon Hercals Plan eine lange Reise unternehmen würden.
Als die Sonne sich über die Zeltspitzen schob, beendete der fremde Kaufmann seine Erzählungen und verabschiedete sich. Er wollte mit seinen zehn struppigen Pferden und drei Männern weiter in die Westländer vorstoßen.
Lavon hob die Tafel auf und gab Turan vier Reiter zum Schutz mit. Die Gestalten der kleinen Karawane verschwanden im Staub am Horizont.
Eine Woche später folgten die Heerhaufen.
Cargon hatte sich unterworfen, und der Friede an der östlichen Grenze war gesichert. Auch Lavon Hercal kehrte mit seinem Banner und den Rittern zurück nach Venya, um ein Unternehmen vorzubereiten, das für alle Zeiten einmalig bleiben sollte.
*
Monate waren vergangen.
Der Weg führte durch windbewegte Cadressenhaine und über nackte Geröllhalden, dann fiel der Pfad steil ab. In der pechschwarzen Nacht lag die Küste vor den drei Reitern. Einen Moment lang riß die Wolkendecke auf, und der gelbe Mond breitete sein Licht über die donnernde Brandung aus. Die Reiter zügelten für einen Augenblick die Pferde und sahen nachdenklich in die Weite der nassen Wüste.
Der Morgen graute ...
Neben Nigoel Imar ritt schweigend Pilok. Der blonde Riese mit den wasserblauen Augen hatte seinen Mantel aufgeschlagen. Wie eine Kampfstandarte wehte der Stoff über den Rücken des Rappen, und über dem gleißenden Kettenhemd schimmerte der Drache auf weißem Feld, das Wappen Piloks. Seine Rechte hielt die Lanze, die im Steigbügel steckte.
»Wir sind dicht vor der Burg Hercals!« sagte Ances.
Dann gab er dem Pferd die Sporen und preschte voran. Wenige Minuten später standen die Reiter am Graben und blickten hinauf zum Turm, an dem sich niemand zeigte. Ances drängte sein Pferd an den Wall und rief laut.
Niemand gab Antwort.
Imar sah den schlafenden Wächter, der sein Haupt auf den Schild gelehnt hatte und in einer Zinne saß. Pilok lächelte verächtlich, stieg ab und spannte seinen Bogen aus.
»Wartet nur«, knurrte er, »gleich werden wir gebührend empfangen.«
Mit leisem Singen schlug die Sehne, und der Pfeil schwirrte. Ein dumpfer Schlag folgte. Schreiend sprang der Wächter von der Mauer. Kurze Zeit später rannten fackeltragende Knappen und bewaffnete Schildknechte durch die Wehrgänge. Im Burghof wurde es lebendig. Endlich wurde der Irrtum entdeckt, und man ließ die Zugbrücke herunter. Die drei Ritter wurden umringt und begrüßt. Bodur und Jagon, des Herzogs Söhne, kamen die Treppe herunter. Zusammen gingen sie in die runde Halle. Dort brannte bereits Feuer. Kienspäne steckten in Eisenringen.
»Ihr werdet hungrig sein!« sagte Bodur. Pilok nickte schweigend.
»Wo ist Lavon Hercal?« fragte Nigoel und stellte seinen Helm auf den Tisch.
»Auf der Jagd. Wir erwarten ihn bald zurück. Er fieberte eurer Ankunft entgegen.«
Die Knappen brachten Braten und Wein. Die Männer griffen zu.
»Hat dein Vater alles gerüstet?« fragte Ances und schwenkte seinen leeren Becher. Der Mundschenk füllte ihn rasch.
»Alles«, sagte Jagon mit Nachdruck. »Morgen oder übermorgen reiten wir zum Schiff. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen – ihr werdet zufrieden sein.«
Dann kam der Herzog. Er war in Leder gekleidet, und der Tau hatte sich auf den Gewändern niedergeschlagen. Lavon trug die Waffe über der Schulter, und seine Hundemeute umsprang ihn kläffend. Freudig wurden die Gäste begrüßt.
»Ich habe für heute nacht ein Fest gerüstet«, sagte Lavon, nachdem er sich Nigoel gegenüber gesetzt hatte. »Vorher aber werde ich euch viel erzählen müssen. Wartet eine kleine Weile.«
Zwei Stunden später hatte sich einiges geändert. Die Sonne schien kräftig auf die Bäume des Burgfriedens, die Vögel zwitscherten und Knechte arbeiteten überall. Die sechs Ritter stiegen langsam die schier endlose Wendeltreppe des Nordturms empor. Ganz oben erwartete sie ein
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