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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Söller und sah zu, wie sich die Fackelträger über die Zugbrücke bewegten, um die letzten Gäste zu begleiten. Ances ging auch, nachdem sich Nigoel bedankt hatte.
    Er war allein. Über ihm standen die Sterne. Der Sommermond war schon am Himmel, doch das Wintergestirn leuchtete noch am Rand des Horizontes. Alles war still.
    Der Wehrgang, der vom Söller zu Nigoels Zimmer führte, war durch Mondschein in Felder aus Licht und Schatten geteilt. Nigoel ging langsam auf die Holztür zu, als er im Schatten eine Bewegung fühlte. Er wirbelte herum, den Zierdolch stoßbereit in der Hand. Es war wie ein Blitz gewesen.
    »Wer seid Ihr?« fragte er voller Erregung.
    »Tretet näher und seht selbst.« Eine weibliche Stimme, flüsternd und trotzdem bekannt. Eine Frau stand bewegungslos an die Wand gedrückt.
    Nigoel streckte eine Hand aus und faßte in das hellbraune Haar von Jonna Beatrix. »Ihr?« stieß er atemlos hervor.
    Er wollte noch etwas sagen, aber das Mädchen stieß sich von der Mauer ab und schlang die Arme um seinen Nacken. In den folgenden Stunden, in denen sie in der Mauernische saßen, lernte Nigoel den wahren Grund ihres Wesens kennen. Zum Abschied legte sie seine Hand auf ihre Brust. Beatrix flüsterte:
    »Spürst du hier das Schlagen des Herzens? Es wird nur für dich schlagen. Immer.«
    Mit einem Würgen in der Kehle verließ Imar das Mädchen mit den blauen Augen. Er hatte noch ihre letzten Worte im Kopf:
    »Hüte dich vor den Drachen!«
    In einem versteckten Winkel seines Geistes ahnte er, daß nicht alle Dinge so geschehen würden, wie er sie bedacht hatte. Es schien, als reite er durch eine seltsame Landschaft, um sie als Fremder zu verlassen. War er fremd auf dieser Welt? Woher kamen diese Gedanken?
     
    *
     
    Wenn die Zellen gesättigt waren, hatten sie sich umgestellt. Sie verarbeiteten die zugeführte Energie ohne Verluste. Immer bestand aber die Gefahr, daß sich die atomare Struktur dieser künstlich geschaffenen Lebensidentifikationen auflöste, wenn der Energiezustrom ausblieb. Die Gorgoyne errichtete, als sie diesen Effekt erkannte, vier Schutzfelder und dosierte die Feldströme, die entlang der Zeitlinie den vollkommenen Körper Paramechs verließen und an vier verschiedenen Stellen der Schöpfung mündeten.
    Eine Vernetzung entstand.
    Dadurch brachte die Gorgoyne mystische Aspekte in dieses Spiel. Es würde niemals schaden, wenn Boyn auch die unbewußten Zusammenhänge zwischen den Figuren dieses Spieles, deren Ahnungen und Gedanken mit in seinen Geist übernahm. Zwischen den vier Gestalten entstanden vage, unfaßbare Verbindungen. Und der – bis auf einen winzigen Impuls – tote Körper reiste weiter, von einem Ende der schwarzen Ewigkeit zum anderen. Ein toter Bote ...?
    Eine unaufgebrochene Botschaft.
     
    *
     
    Am anderen Morgen ritt Nigoel wie ein Toter zwischen den anderen. Bleich hing er im Sattel, zusammengesunken, und starrte auf den Weg. Neben ihm ritt Pilok, stolz aufgerichtet und ein böses Funkeln in den Augen. Er hatte seinem Pferd die Turnierdecke umgelegt. Sie war weiß, und sie zeigte das Wappen des Bogenschützen auf den Seiten. So wie Pilok ritt, das kantige Gesicht gegen den Wind gerichtet, wirkte er wie die verkörperte Rache.
    Niemand sah es. Der Bann legte sich erst, als die Vertäuung des Schiffes gelöst war. Knallend füllte sich das Segel, die Lähmung fiel von Nigoel ab. Am Abend sank auch er erschöpft auf die Planken. Fünf Worte gingen durch seinen Sinn, aber selbst sein vorausschauendes Gehirn erfaßte deren Sinn nicht.
    »Hüte dich vor den Drachen!«
    Die Monate vergingen, langsam und einsam.
     
    *
     
    Durch die unendliche Weite der chongalischen Grassteppen zog die Schar abgekämpfter Männer in östlicher Richtung. Die Steppe war kalkweiß und dürr, das Gras hart wie Stroh und staubbedeckt. Der Himmel war bleigrau, eine blasse Sonne stach herunter. Weit und breit kein Wasser, kein Schatten.
    Nigoel ritt an der Spitze und hatte das schwarzgebrannte Gesicht durch Tücher geschützt. Das Haar hing verfilzt auf die Schultern herab, der Helm drückte, und die Augen lagen fiebernd in tiefen Höhlen. Zwei Pferde waren zusammengebrochen, und einer der besten Männer war tot aus dem Sattel gefallen. Jetzt war das Wasser aufgebraucht. Es gab nur noch eines:
    Weiterreiten, bis zur Wasserstelle.
    Den anderen Männern ging es nicht besser. Es schien ein Zug des Todes zu sein. Nur Nigoel Imars unbeugsamer Wille hatte sie vorwärtsgetrieben, vorwärts und immer

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