TTB 100: Der Traum der Maschine
lachen aufgehört hatte. Piloks Blick folgte dem des braunhaarigen Ritters.
»Das ist Beatrix. Jonna Beatrix Dory. Die Schönste dieses Landstrichs. Unnahbar, kühl und von hunderten Leiern besungen. Sie ist für uns unerreichbar. Ich warb vor Jahren um sie.«
»Du – Pilok?« fragte Nigoel.
»Und viele andere. Sie scheint auf jemanden zu warten, den es nicht gibt.«
In Piloks Gesicht stand Ärger. Verwundert blickte ihn der Freund von der Seite an. »Stelle mich vor, Pilok«, bat er leise.
Pilok sah ihn eine Zeitlang schweigend und finster an, dann nickte er.
Jonna Beatrix saß allein da. Neben ihr stand Lavon Hercal. Als Pilok und Nigoel sich durch den Saal bewegten, begegneten sich die Augenpaare Lavons, Beatrix' und Nigoels. Im Vorübergehen nahm Imar eine Weinkaraffe aus den Händen eines verwunderten Pagen und lächelte leicht.
»Dies hier ist Ritter Nigoel Imar, der beste Reiter des Herzogs«, sagte Pilok, während sein Gesicht steinern und bitter blieb. Nigoel reichte ihr die Hand. Sie nickte und erwiderte seinen Gruß. Imar hob den Krug.
»Eure Lippen sind spröde, schönste Beatrix«, sagte er leichthin, »trinkt, und sie werden weich. Weich, um mit mir zu reden, wenn wir tanzen.«
Beatrix lächelte, und Pilok wurde bleich. Niemand achtete darauf.
Nigoel machte eine artige Verbeugung, als er eingeschenkt und zugesehen hatte, wie Beatrix trank. Dann reichte er ihr die Hand und ging die teppichbelegten Stufen hinunter.
Man tanzte, trank, aß und hörte den Musikern zu. Einmal ging Nigoel kurz von der Seite des Mädchens weg und in den dämmerigen Hintergrund des Saales. Dort stand der stille Ances, ganz in Purpur gekleidet, und sprach mit einem jungen Mädchen. Nigoel verneigte sich tief und winkte dem Jungen.
»Hol' deine Leier«, flüsterte er eindringlich. »Komme später zu Beatrix und mir und singe dein schönstes Lied, ja?«
Ances lächelte.
»Ich sollte es Euch schon früher gesagt haben, Nigoel. Ihr seid mein bester Freund, denn Ihr lächelt nicht über mich. Für Euch singe ich das schönste Lied. Wartet nur!«
Einen Augenblick lang ließ Nigoel seine Hand auf der Schulter des Pagen liegen. Dann sah er in die dunklen Augen des Jungen und sagte:
»Bei meinem Schwert – das soll ein Wort sein. Es gilt, und ich werde es niemals vergessen.«
Dann drehte er sich um und ging zu Beatrix zurück. Sie tanzten noch einmal. Dann nahmen sie ihre Gespräche wieder auf. Viele Gäste waren bereits gegangen, aber Nigoel und Beatrix merkten nicht, daß es schon so spät war. Auch nicht, daß Pilok fehlte. Die Musik setzte ein, als Lavon hinter ihren Stühlen erschien und die Hand hob.
»Musiker«, rief er, »wartet etwas. Ances, unser junger Freund, möchte ein Stück zur Leier singen. Ances, komm hierher. Hört zu, meine Gäste!«
Die Instrumente schwiegen. Binnen kurzer Zeit hatte sich ein dichter Kreis um Ances, Beatrix und Nigoel gebildet. Ances griff in die Saiten und schlug einen Akkord an. Seine helle, geschmeidige Stimme erhob sich.
»Sprich – was ist geschehen,
so ich Venya verlassen muß.
Das Segel ist der letzte Gruß,
am Morgen muß ich gehen.
Abschiedsweh!«
Staunend hörte Nigoel Imar den Text. Ances mußte ihn in der kurzen Zeit gereimt haben. Nigoel blickte sich unauffällig um. Er vermißte Pilok. Ances sang weiter:
»Ich gehe in ein fremdes Land,
selbst wenn ich elend sterbe
und unerkannt verderbe,
halt' ich doch heute deine Hand.
Abschiedsweh!«
Niemand wußte, daß der Ritter mit dem Drachenwappen schon vor einer Stunde die Burg verlassen hatte. Die Gedanken des Bogenschützen kreisten um einen Punkt, der Nigoel mit kaltem Schrecken erfüllt hätte, wüßte er davon. Das Pferd keuchte, als Pilok durch die Nacht und über schmale Stege donnerte, bis er schließlich den dunklen Strand erreichte. Ruhelos galoppierte der Ritter entlang der Wellen und dachte in wirren Kreisen.
Ances beendete das Lied:
»Doch sind wir einst zurück
– ich weiß dich warten hier –
zerspringt das hungrig' Herze mir
vor goldnem Frühlingsglück.
Abschiedsweh!«
Ein letzter Akkord verklang leise. Die Instrumente setzten ein und spielten den letzten Tanz dieser Nacht. Beatrix und Nigoel sahen sich schweigend an und verstanden, was Ances für sie gesungen hatte. Dann führte Nigoel das Mädchen wieder zu Lavon zurück, verbeugte sich und drehte sich dann rasch um. Niemand sollte sehen, wie es um ihn stand.
Er lehnte, ohne Wams und Waffen, mit Ances auf dem
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