TTB 106: Der dritte Planet
schlagen lassen. Aber ich bin nichts für dich. Überflüssig.«
»Oh, hör auf ...«
»Nein«, fiel sie ihm ins Wort. »Deshalb gehe ich. Weil ich es nicht ertragen kann, mit anzusehen, wie du mich jeden Tag mehr für irgend etwas hassest, woran ich unschuldig bin.«
»Ich nehme an ...«
»Oh, sage kein Wort mehr«, sagte sie, stand auf und lief eilig aus dem Zimmer. Er hörte sie ins Wohnzimmer gehen und starrte zum Toilettentisch hinüber.
Sage kein Wort mehr? fragte er sie in Gedanken, wie wenn sie noch da wäre. Nun – es gibt noch viel zu sagen, eine ganze Menge. Du scheinst nicht einzusehen, was ich verloren habe. Du scheinst nicht zu begreifen. Ich hatte Hoffnungen – gerechter Himmel, was für Hoffnungen hatte ich! Ich wollte eine Prosa schreiben, daß die Menschen vor Erstaunen den Atem angehalten hätten. Ich wollte ihnen Dinge erzählen, die sie unbedingt erfahren mußten. Und wollte sie in so unterhaltender Art erzählen, daß sie die Wahrheit gar nicht spürten, die ihnen nahegebracht wurde. Ich wollte unsterbliche Werke schaffen.
Wenn ich jetzt sterbe, werde ich einfach tot sein. Ich sitze in dieser deprimierenden Kleinstadt gefangen, bin in einem College begraben, in dem die Leute Staub anstarren und gar nicht wissen, daß über ihren Köpfen Sterne leuchten. Und was kann ich tun ...?
Seine Gedanken brachen ab. Elend blickte er auf ihre Parfümfläschchen, auf die Puderbüchse, die das alte Lied Always klimperte, wenn der Deckel hochgehoben wurde.
Ich will an dich denken. Immer.
Mit einem Herzen, das dir treu ist. Immer.
Kindische, komische Worte, dachte er. Aber seine Kehle zog sich zusammen, und ihn schauderte.
»Sally«, sagte er. So leise, daß er es selbst kaum hören konnte.
*
Nach einer Weile stand er auf und zog sich an.
Während er seine Hose anzog, rutschte der Teppich unter ihm weg, und er mußte sich am Toilettentisch festhalten. Er starrte nach unten, und sein Herz schlug in der rasenden Wut, die er innerhalb von Sekunden aufbringen konnte.
»Verfluchtes Ding!« murmelte er.
Er vergaß Sally. Er vergaß alles. Er wollte nur mit dem Teppich ins reine kommen. Heftig stieß er ihn mit dem Fuß unters Bett. Sein Ärger ließ nach und verging. Er schüttelte den Kopf. Ich bin krank, dachte er und kam auf die Idee, zu ihr zu gehen und ihr zu erzählen, daß er krank sei.
Sein Mund zog sich zusammen, als er ins Badezimmer ging. Ich bin nicht krank, dachte er. Jedenfalls nicht körperlich. Mein Verstand ist krank, und sie macht es nur noch schlimmer.
Das Badezimmer war, weil sie es vor kurzem benutzt hatte, noch feuchtwarm. Er öffnete das Fenster und riß sich dabei einen Splitter ein. Mit unterdrückter Stimme verfluchte er das Fenster. Dann sah er auf. Weshalb so leise? fragte er. Dann hört sie mich ja nicht.
»Verflucht!« brüllte er laut das Fenster an. Dabei fummelte er an seinem Finger herum, bis er den Splitter herausbekommen hatte.
Er riß die Tür des Badezimmerschränkchens mit einem Ruck auf, weil sie klemmte. Sie schlug heftig gegen sein Handgelenk. Er fuhr herum, packte das Gelenk mit der anderen Hand und legte keuchend den Kopf zurück. Dabei wimmerte er.
Mit schmerzverzogenen Augen stand er da und starrte zur Decke. Er sah den Riß, der in einer verrückten Mäander-Linie über die Decke lief. Dann schloß er die Augen.
Er fühlte irgend etwas. Es war wie eine Drohung. Er wunderte sich darüber, löste das Rätsel dann selbst. Natürlich bin ich es selbst, antwortete er sich. Es ist die moralische Schwäche meines Unterbewußtseins. Es straft mich, indem es mir erklärt: du verdienst dafür Strafe, daß du deine arme Frau zu ihrer Mutter zurücktreibst. Du bist kein Mann. Du bist ein ...
»Hör auf!« sagte er zu sich.
Er wusch sich Hände und Gesicht und fuhr prüfend mit den Fingern über das Kinn. Er mußte sich rasieren. Vorsichtig öffnete er die Tür des Schränkchens wieder und nahm sein Rasiermesser heraus. Er hielt es hoch und musterte es.
Die Klinge rutschte aus dem Schalengriff, und er schauerte zusammen, als er sie im Licht blitzen sah.
Er starrte angewidert und fasziniert zugleich auf den glänzenden Stahl. Nach einer Weile berührte er die Schneide. So scharf, dachte er. Beim kleinsten Druck würde sie ins Fleisch dringen. Eigentlich ein schreckliches Ding.
Wenn meine Hand es getan hat ...
Er klappte das Messer hastig zu. Es war seine Hand. Sie mußte es gewesen sein. Das Messer konnte sich nicht von selbst bewegen und
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