TTB 106: Der dritte Planet
und sich geliebt. Und nun verließ sie es. Packte Kleidungsstücke und Toilettengegenstände in ihren alten schwarzen Koffer und fuhr davon. Damit konnte er innerlich nicht fertig werden. Er konnte es nicht begreifen. Es paßte nicht in das gewohnte Leben, in dem Sally hier war und sauber machte und kochte und versuchte, ihnen ein glückliches, warmes Heim zu schaffen.
Er schauerte zusammen, wandte sich mit einem Ruck um und ging ins Schlafzimmer zurück.
Er ließ sich auf sein Bett fallen und starrte die leise summende elektrische Uhr an, die auf ihrem Nachttisch stand.
Nach elf, sah er. In weniger als einer Stunde muß ich eine Gruppe idiotischer Neulinge unterrichten. Und auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer liegt ein ganzer Berg von Aufsätzen, die ich durcharbeiten muß. Obwohl mein Magen sich über die darin steckende geringe Intelligenz und die Phraseologie von Halbwüchsigen umdreht.
Und all dieser Schund, diese Meilen häßlicher Prosa hatten sich in seinem Kopf zu einem unlöslichen Gespinst verwoben. Und von dort lief es in sein eigenes Schreiben mit hinein, verdarb es, bis er überlegte, ob er den Gedanken, weiterzuleben, noch ertragen könne. Ich habe das Schlimmste verdauen müssen – ist es da ein Wunder, daß ich es stückweise wieder von mir gebe?!
Sein Temperament fing wieder an aufzuwallen, ein zuerst schwach brennendes Feuer, das durch seine Gedanken angefacht wurde. Ich habe heute vormittag nicht ein bißchen geschrieben. Wie jeden Vormittag nach jedem anderen Vormittag, der vergangen ist. Ich tue weniger und weniger. Ich schreibe nichts oder höchstens wertloses Zeug. Mit zwanzig Jahren konnte ich besser schreiben als heute.
Nie wieder werde ich etwas Gutes schreiben!
Er sprang auf die Füße, und sein Kopf fuhr herum auf der Suche nach etwas, das er zerbrechen oder zerschlagen könnte, etwas, das er hassen könnte.
Es kam ihm vor, als ob das Zimmer dunkler wurde. Sein linkes Bein stieß gegen eine Bettecke.
Er keuchte vor Wut. Er weinte. Tränen des Hasses, der Reue und des Erbarmens mit sich selbst. Ich bin verloren, dachte er. Es gibt keine Hilfe mehr dagegen.
*
Er wurde sehr ruhig. Von eisiger Ruhe erfüllt. Sein Gefühl hatte sich vorübergehend erschöpft. Er zog sein Jackett an, setzte seinen Hut auf und nahm die Aktentasche vom Toilettentisch.
Vor der Tür des Extrazimmers, in dem sie sich immer noch an ihrem Koffer zu schaffen machte, blieb er stehen. Sie will also etwas zu tun haben, dachte er, damit sie mich nicht anzusehen braucht.
»Amüsiere dich gut bei deiner Mutter«, sagte er gelassen.
Sie blickte auf, sah seinen Gesichtsausdruck, wandte sich ab und legte eine Hand vor die Augen. Plötzlich spürte er den Drang, zu ihr zu gehen und sie um Verzeihung zu bitten. Alles wieder in Ordnung zu bringen.
Dann dachte er wieder an die Jahre des Nichtschreibens. Er drehte sich um und ging durch das Wohnzimmer. Der kleine Teppich rutschte und lieferte ihm den Grund für seine Wut, den er brauchte. Er stieß ihn heftig beiseite, so daß er an die Wand flog und dort in einem zerdrückten Haufen liegenblieb.
Er schlug die Tür hinter sich zu.
Nun hatte sie sich wahrscheinlich wie in einem melodramatischen Werbefilm auf ihr Bett geworfen und verströmte Märtyrertränen, grub ihre Fingernägel ins Kopfkissen, stöhnte seinen Namen und wünschte, sie wäre tot.
Seine Schuhe klapperten eilig auf dem Bürgersteig. Gott helfe mir! dachte er. Gott helfe uns Elenden allen, die etwas schöpfen möchten und finden, daß wir unsere Herzen verlieren, weil wir nicht genug Zeit daran wenden können.
Es war ein schöner Tag. Seine Augen sahen es – sein Verstand wollte es nicht zugeben. Die Bäume hatten schon dichtes Grün angesetzt, und die Luft war warm und frisch. Frühlingswind wehte sanft durch die Straßen. Er fühlte ihn über sich hinwegwehen, als er an seinem Block entlang ging und die Hauptstraße an der Bushaltestelle kreuzte.
Er stand an der Ecke und blickte zu seinem Haus zurück.
Sie ist dort drin, mußte er beharrlich denken. Dort, in dem Haus, in dem wir länger als achtzehn Jahre gewohnt haben. Sie packt oder weint oder macht sonst etwas. Und bald wird sie die Taxi-Gesellschaft anrufen. Ein Taxi wird kommen. Der Fahrer wird hupen. Sally wird ihren leichten Sommermantel anziehen und mit dem Koffer auf die Veranda hinausgehen. Sie wird die Tür zum letztenmal hinter sich schließen.
»Nein ...«
Er konnte das Wort nicht zurückhalten, während er zum Haus
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