TTB 106: Der dritte Planet
mehr Kaffee als früher. Er verdarb auch ihre Nerven.
Und sie rauchte jetzt auch, obwohl sie bis vor einem Jahr nie geraucht hatte. Es schmeckte ihr nicht, und sie hatte keine Freude daran. Sie zog den Rauch tief in die Lungen und atmete ihn dann schnell wieder aus. Und ihre Hände zitterten fast so schlimm wie seine.
Er setzte sich auf den Platz ihr gegenüber und goß sich eine Tasse Kaffee ein. Sie stand auf.
»Was ist los? Kannst du meinen Anblick nicht mehr ertragen?«
Sie setzte sich wieder und nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. Dann drückte sie den Stummel auf der Untertasse aus.
Er fühlte sich schlecht. Er wünschte plötzlich aus dem Haus zu gehen, das ihm jetzt fremd und feindlich vorkam. Er hatte das Gefühl, daß sie alle Ansprüche darauf aufgegeben, daß sie sich praktisch schon daraus zurückgezogen hatte. Die Berührung ihrer Finger und die liebevolle Zärtlichkeit, die sie früher jedem Raum gewidmet, gab es nicht mehr. Sie verließ es, und deshalb war es nicht mehr ihr Heim.
Er ließ sich an die Rückenlehne sinken, schob seine Kaffeetasse zurück und starrte auf das gelbe Wachstuch der Tischdecke. Es kam ihm vor, als ob er und Sally in der Zeit fast stehengeblieben wären, als ob jede Sekunde sich zu einer Ewigkeit hinzog. Die Uhr tickte langsamer, und das Haus hatte sich auch verändert.
»Welchen Zug willst du nehmen?« fragte er und wußte schon vorher, daß es nur einen Vormittagszug gab.
»11 Uhr 47«, sagte sie.
Als sie es ausgesprochen hatte, war ihm zumute, als ob sein Magen mit Gewalt gegen das Rückgrat gedrückt würde. Er keuchte – so wirklich war der körperliche Schmerz. Sie sah ihn an.
»Den Mund verbrannt«, erklärte er hastig, und sie stand auf und stellte ihr Geschirr in den Ausguß.
Weshalb habe ich das gesagt? dachte er. Weshalb konnte ich nicht sagen, mit welchem Schrecken mich der Gedanke erfüllte, daß sie mich verließ, und daß ich darum gekeucht hätte? Weshalb sagte ich dauernd Sachen, die ich gar nicht sagen will? Ich bin nicht schlecht, aber jedesmal, wenn ich spreche, erhöhe ich die Mauern von Haß und Bitterkeit um mich herum, bis ich nicht mehr daraus entkommen kann.
Aus Worten habe ich mein Leichenhemd gewebt und werde mich selbst darin begraben.
Er musterte ihren Rücken, und ein trauriges Lächeln kräuselte seine Lippen. Ich kann über Worte nachdenken, wenn meine Frau im Begriff steht, mich zu verlassen. Es ist sehr traurig.
Sally war aus der Küche gegangen, und seine Stimmung wurde wieder mürrisch wie sonst. Es ist wie ein Spiel, das wir spielen. Folge dem Führer. Man geht in ein Zimmer, den Kopf hoch, die im Recht befindliche Gemahlin, der beleidigte Teil. Von mir wird erwartet, daß ich mit hängenden Schultern hinterhergehe, reumütig zerknirscht, und von Entschuldigungen überfließe.
Er wurde wieder seiner selbst bewußt, saß verkrampft am Tisch, und die Wut ließ seinen Körper zittern. Bewußt versuchte er, sich zu entspannen und preßte seine linke Hand auf die Augen. Er versuchte, sein Elend in Schweigen und Dunkelheit zu verlieren.
Es gelang ihm nicht.
Und dann verbrannte er sich an seiner Zigarette und fuhr hoch. Er ließ die Zigarette fallen, bückte sich nach ihr und wollte sie in den Mülleimer werfen, traf jedoch daneben. Zum Teufel damit, dachte er. Er stand auf und legte Tasse und Untertasse in den Ausguß. Dabei zerbrach die Untertasse und schnitt ihn in den Daumen. Er ließ es bluten und kümmerte sich nicht darum.
*
Sie war im Extrazimmer und packte.
Das Extrazimmer. Das Wort quälte ihn jetzt. Wann hatten sie aufgehört, es das »Kinderzimmer« zu nennen? Wann hatte es angefangen, sie innerlich kaputtzumachen, weil sie so voller liebe war und unbedingt Kinder haben wollte. Wann hatte er angefangen, ihr für diesen Verlust nichts Besseres zu bieten als ein vulkanisches Temperament und Tag und Nacht die Anfälle überreizter Nerven?
Er stand in der Tür und beobachtete sie. Eigentlich wollte er an seine Schreibmaschine gehen, sich hinsetzen und eine Menge Bogen voller Worte schreiben. Er wollte sich seiner kommenden Freiheit freuen. An all das Geld denken, das er verdienen konnte. Daran, daß er nun alles das schreiben konnte, was er immer schon hatte schreiben wollen.
Er stand in der Tür, und ihm war übel.
Ist das alles möglich? fragte sein Verstand ungläubig. Möglich, daß sie ihn verließ? Sie und er waren doch Mann und Frau! Sie hatten in diesem Haus länger als achtzehn Jahre gelebt
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