TTB 106: Der dritte Planet
war, geheiratet habe.
Plötzlich schloß er die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Sie überkam ihn wieder, die Übelkeit, die ihn jedesmal gewalttätig machte. Die Übelkeit aus Verzweiflung, aus enttäuschtem Ehrgeiz. Sie verdarb alles und machte es bitter. Sie nahm ihm den Appetit, raubte ihm den Schlaf und zerstörte die Liebe.
»Vielleicht – wenn wir Kinder hätten«, murmelte er und wußte, ehe er es ausgesprochen hatte, daß es auch keine Lösung war.
Kinder. Wie glücklich sie sein würden, wenn sie beobachteten, wie ihr elender Vater von Tag zu Tag tiefer sank.
Er wiederholte mit zusammengebissenen Zähnen die Worte, die er so oft schlaflose Nächte hindurch vor sich hin gemurmelt hatte:
»Ich bin vierzig Jahre alt. Ich lehre Englisch am Fort-College. Ich habe einmal gehofft, Schriftsteller zu werden. Ich dachte, in dieser Stellung würde ich gut schreiben können. Einen Teil des Tages würde ich Unterricht geben und in der übrigen Zeit schreiben. Ich lernte Sally in der Schule kennen und heiratete sie. Ich dachte, alles würde gut werden. Ich glaubte, der Erfolg wäre unvermeidlich. Vor achtzehn Jahren.«
Achtzehn Jahre.
Wie, dachte er, hast du nur das Dahingehen von fast zwei Jahrzehnten gemerkt? Die Zeit schien ihm ein gestaltloser Ballen vergeblicher Mühe zu sein, von in Qual verbrachten Nächten.
Immer war der Groll gewachsen. Während der Tage, an denen er sah, daß Sally von seinem kleinen Gehalt Lebensmittel und Kleidung kaufte und Miete bezahlte. Wenn er sie dabei beobachtete, daß sie neue Vorhänge oder neue Sesselbezüge kaufte, weil ihm dadurch der Augenblick wieder ferner gerückt worden war, da er seine Zeit einzig und allein dem Schreiben widmen konnte. Jeden Cent, den sie ausgab, fühlte er wie einen Schlag gegen sein Streben.
Er zwang sich dazu, so zu denken. Er zwang sich dazu, zu glauben, daß er nur Zeit brauchte, um etwas Gutes schreiben zu können.
Einmal jedoch hatte ein wütender Student ihn angeschrien: »Sie sind nur ein drittklassiges Talent, das sich hinter einem Schreibtisch versteckt!«
Er erinnerte sich dessen gut. O Himmel! Wie er sich jenes Augenblicks erinnerte. Sich der kalten Übelkeit erinnerte, die ihn erschütterte, als ihm die Bedeutung dieser Worte klarwurde. Wie seine Stimme gezittert hatte.
Er hatte den Studenten zum Schluß des Semesters durchfallen lassen, obwohl er gute Zeugnisse hatte. Es hatte eine große Aufregung deshalb gegeben. Der Vater des Studenten war ins College gekommen, und alle waren zu Dr. Ramsay, dem Leiter der englischen Abteilung, gegangen.
Auch dessen erinnerte er sich – die Szene konnte alle anderen Erinnerungen auslöschen. Er selbst saß an einer Seite des Konferenztisches, dem erzürnten Vater und seinem Sohn gegenüber. Dr. Ramsay streichelte seinen Bart, bis er dachte, er würde ihm etwas an den Kopf werfen. »Nun, wir wollen sehen, ob wir das nicht in Ordnung bringen können«, hatte Dr. Ramsay gesagt.
Sie hatten das Zeugnisbuch durchgesehen und festgestellt, daß der Student im Recht war. Dr. Ramsay hatte ihn sehr überrascht angesehen. »Ich sehe nicht recht, weshalb ...«, sagte er, ließ seine Sirup-Stimme verstummen, musterte ihn eindringlich prüfend und wartete auf eine Erklärung.
Und die Erklärung war hoffnungslos, ein wirres, sinnloses Durcheinander. Er hatte von unverzeihlichem Benehmen und moralischem Versagen gesprochen, ohne wirkliche Beweise dafür anführen zu können. Und Dr. Ramsay erklärte ihm in sehr deutlichen Ausdrücken – während sein dicker Hals dunkelrot anlief –, daß die Moral im Fort-College nicht zu den Fächern gehörte, die er zu zensieren hätte.
Da war noch mehr, doch er hatte es vergessen. Er hatte große Anstrengungen gemacht, es zu vergessen. Aber das konnte er nicht vergessen, daß es Jahre dauern würde, bis er es zu einer Professur brachte. Ramsay würde ihm alle möglichen Hindernisse in den Weg legen. Und sein Gehalt würde weiter so unzulänglich bleiben, Rechnungen würden sich häufen, und er würde nie zum Schreiben kommen.
Er kehrte in die Gegenwart zurück und stellte fest, daß er die Bettwäsche krampfhaft gepackt hielt.
Voller Haß starrte er auf die Badezimmertür. Los! – dachte er wie zu seiner eignen Rechtfertigung – fahre zu deiner wundervollen Mutter. Sieh zu, ob ich mir etwas daraus mache. Weshalb eine Trennung auf Probe? Laß es doch gleich für immer sein. Gib mir Frieden! Vielleicht kann ich dann etwas schreiben.
Vielleicht kann ich dann
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