TTB 109: Unendlichkeit x 5
das Laboratorium herunter und traf sie in höchster Erregung an. Sie hatten kein Recht dazu; sie hatten einfach kein Recht ... Ein Neandertaler war doch noch lange kein Tier!
Sie starrte den Wissenschaftlern nach, die sie in die Flucht getrieben hatte und lauschte gleichzeitig auf Timmies Schluchzen. Als sie Hoskins vor sich stehen sah, schien er sie bereits einige Minuten lang beobachtet zu haben.
»Darf ich hereinkommen?« fragte er.
Sie nickte und ging rasch in Timmies Zimmer voraus. Timmie klammerte sich an sie.
Hoskins sah ihn nachdenklich an und meinte schließlich: »Er scheint nicht gerade glücklich zu sein.«
»Dafür kann er nichts«, verteidigte Miss Fellowes ihn sofort. »Jeden Tag kommen diese Idioten hier an und belästigen ihn mit ihren Untersuchungen. Außerdem muß er von einer synthetischen Diät leben, von der nicht einmal ein Schwein fett werden könnte.«
»Derartige Versuche darf man eben nicht mit Menschen anstellen, wie Sie recht gut wissen.«
»Und mit Timmie ebenfalls nicht. Darauf muß ich bestehen, Doktor Hoskins. Schließlich ist Timmie eigentlich für den Erfolg der Stasis GmbH verantwortlich. Sie müßten aus reiner Dankbarkeit dafür sorgen, daß er nicht wieder belästigt wird, bevor er nicht ein bißchen älter ist und schon mehr versteht. Nach jeder besonders eingehenden Untersuchung hat er solche Alpträume, daß er nicht mehr schlafen kann. Ich warne Sie hiermit, daß ich keinen mehr an ihn heranlassen werde!«
(Erst jetzt bemerkte sie, daß sie den letzten Satz fast geschrien hatte.)
Dann fuhr sie ruhiger fort: »Ich weiß, daß er nur ein Neandertaler ist, aber trotzdem ist er nicht mit einem Tier zu vergleichen. Finden Sie nicht auch, daß Timmie ein Anrecht auf eine etwas menschenwürdigere Behandlung hat?«
Sie fuhr dem Jungen noch einmal über das Haar und schickte ihn dann in sein Zimmer. Hoskins lächelte, als er durch die offene Tür eine Ansammlung von Spielzeug entdeckte.
Miss Fellowes hatte seinen Blick verfolgt. »Das arme Kind verdient ein bißchen Spielzeug. Das ist alles, was es besitzt, und es verdient es, weil es soviel durchmachen muß.«
»Ich habe durchaus nichts dagegen, Miss Fellowes. Ich habe nur eben daran gedacht, wie sehr Sie sich seit dem ersten Tag verändert haben, als Sie so wütend auf mich waren, weil ich Ihnen einen Neandertaler angehängt hatte.«
Miss Fellowes lächelte unsicher. »Damals wußte ich noch nicht ...« Sie schwieg wieder.
Hoskins wechselte das Thema. »Wie alt ist er Ihrer Meinung nach, Miss Fellowes?«
»Ich kann es nicht bestimmt sagen, weil ich nicht weiß, wie schnell Neandertaler wachsen«, antwortete sie. »Der Größe nach könnte er etwa drei Jahre alt sein, aber Neandertaler sind nicht sehr groß. Außerdem kann er nicht wachsen, wenn dauernd an ihm herumgepfuscht wird. Nach seinen Fortschritten im Englischen zu urteilen, müßte er allerdings schon über vier Jahre alt sein.«
»Wirklich? In Ihren Berichten steht aber nicht, daß er schon Englisch spricht.«
»Er spricht vorläufig nur mit mir, weil er sich vor allen anderen fürchtet, was wirklich kein Wunder ist. Aber er kann sich recht gut verständlich machen und versteht fast alles, was ich zu ihm sage. Natürlich kann ich nicht dafür garantieren, daß seine Entwicklung nicht eines Tages stagniert.«
»Warum?«
»Jedes Kind braucht Anregung, aber Timmie lebt sozusagen in Einzelhaft. Ich versuche ihm zu helfen, aber ich bin nicht ständig bei ihm und außerdem nicht das, was er braucht. Was ich meine, Doktor, ist ein anderer Junge, mit dem er spielen kann.«
Hoskins nickte langsam. »Leider ist er ganz allein, nicht wahr?«
Miss Fellowes sah ihn dankbar an. »Sie haben Timmie auch gern?« Es war so nett, daß ein anderer Mensch ihm gegenüber etwas anderes als nur wissenschaftliches Interesse empfand.
»Natürlich«, antwortete Hoskins und lächelte müde.
Miss Fellowes beobachtete ihn besorgt. »Sie sehen müde aus, Doktor Hoskins.«
»Wirklich, Miss Fellowes? Dann muß ich mich wohl um einen hellwachen Gesichtsausdruck bemühen?«
»Ich nehme an, daß die Entwicklung der Stasis GmbH nicht mehr viel Freizeit läßt.«
Hoskins zuckte mit den Schultern. »Sie haben ganz richtig vermutet. Wir beschäftigen uns jetzt mit Tieren, Pflanzen und Mineralien – zu gleichen Teilen. Aber Sie haben unsere Ausstellungsstücke noch nicht gesehen, wenn ich mich nicht irre.«
»Nein ... Aber nicht aus mangelndem Interesse, sondern weil ich zuviel Arbeit
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