TTB 110: Im Reich der Dämonen
schützenden Berg. Sein Tarnumhang schlang sich eng um ihn und sprach sofort auf die Chemikalien an, die durch die Angst in seinem Blutstrom frei wurden. Millionen winziger Chromatophoren in der Haut des Umhangs änderten ihre Pigmentzusammensetzung durch Konzentration oder Auflösung. Die Tarnfarbe war perfekt. Er wurde eins mit dem braungelben Essensgebilde.
Aber das drohende Messer stieß auf ihn herab. Es drehte sich in der Luft, so daß die flache Klinge nun über ihm schwebte. Zischend strich die Luft vorbei.
Tarnumhang oder nicht – der Dämon hatte ihn erblickt.
Und er senkte das Messer, um ihn zu töten.
Plötzlich fühlte Stead wieder Kraft in sich. Seine Füße stemmten sich in den Boden, federten ab. Den Bruchteil einer Sekunde, bevor das Messer auf das weiße Porzellan schlug, hatte er sich in Sicherheit gebracht.
Der Lärm – das Splittern und Krachen, als das Porzellan zerbrach – schien in jede Pore seines Körpers zu dringen. Er wurde auf das grelle Material geschleudert. Sein Tarnumhang machte ans Wunderbare grenzende Farbumstellungen mit, als er halb bewußtlos auf dem Tuch lag.
Wieder hob sich das Messer, pfiff durch die Luft – und zischte auf ihn nieder. Er war wie gelähmt.
Doch dann sprang er in langen Sätzen über die Tuchebene.
Stolpernd rannte er hin und her. Noch dreimal hörte er das Messer neben sich aufschlagen. Plötzlich, in seiner halbblinden Flucht, fühlte er, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Er fiel ins Nichts.
Der Boden kam mit entsetzlicher Geschwindigkeit näher. Endlich fanden seine zittrigen Finger den Hebel des Anti-Schwerkraftantriebs. Eine Sekunde lang schwebte er in der Luft. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte.
Mit mörderischer Gewalt raste das Messer auf die Stelle zu, an der er aufgeschlagen wäre. Er wurde von dem Luftstrom mitgerissen. Doch dann trug ihn der Antrieb nach oben, außer Reichweite des fürchterlichen Messers.
Erst als er mit dem Kopf gegen die Decke stieß, fühlte er sich sicher. Er sah nach unten. Das Schwindelgefühl hatte ihn verlassen. Der Dämon bewegte sich bedächtig. Er machte sich an dem Holzgestell zu schaffen, das – wie Stead jetzt aus der Ferne erkannte – nichts anderes als ein Stuhl war. Der Dämon kletterte auf den Stuhl. Erst ein Beinpaar, dann das nächste. Der Dämon schwankte. Sein breites, aufgedunsenes Gesicht wandte sich Stead zu. Das Messer richtete sich bedrohlich gegen ihn. Vier Arme hatte der Dämon und vier Augen. Aber zwei davon waren halb geschlossen und nur sehr klein. Doch die beiden anderen durchforschten den Raum unerbittlich. Stead tastete sich an der Decke entlang auf die entgegengesetzte Wand zu.
Der Dämon konnte ihn nicht erreichen. Er fuchtelte nur mit dem Messer herum. Dann stieg er wieder vom Stuhl – mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Stead hatte jetzt die Ecke erreicht und erkannte, weshalb ihn das Licht hier nicht blendete. Seine Quelle, im Mittelpunkt der Decke, war nach oben hin abgeschirmt.
Stead erinnerte sich an seine dunkle Brille und setzte sie mit zitternden Fingern auf. Die wilde Furcht während der letzten Minuten – oder waren es Stunden? – und die entsetzliche Entdeckung hatten seine Wildbeuterinstinkte gelähmt. Das war aber auch kein Wunder.
Er konnte dem Dämon nicht zusehen. Wütend, fauchend, brüllend tobte er wie ein Alptraum durch den Raum. Die dunklen Gläser zeigten Stead den Schrank, von dem sein Abenteuer ausgegangen war. Er mußte dorthin zurück. Aber der Dämon dürstete nach seinem Blut. Stead erinnerte sich an ein paar Geschichten, die die alten Wildbeuter in ihrer Freizeit erzählt hatten – und ihm wurde dabei nicht wohler zumute.
Der Dämon begann ihn mit allerlei Dingen zu bewerfen. Anfangs konnte er ihnen leicht entkommen – einem riesigen Buch, dessen offene Seiten flatterten, einer Gabel, dann wieder dem Messer. Sie alle fielen wieder zu Boden – mit tosenden Geräuschen.
Eine Stimme – eine menschliche Stimme – drang wie aus weiter Ferne durch den Lärm.
»Stead! Hier herunter! Schnell!«
Honeys schmale Gestalt mit den dunklen Seidenhaaren war am Rand des Schrankes aufgetaucht. Sie winkte ihm erregt zu.
Bei ihrem Anblick durchzuckte es Stead. Es war, als ob sich seine Furcht verdoppelt hätte und sein ganzes Sein ausfüllte. Wenn der Dämon sie entdeckte ...
Stead ließ sich einfach fallen. Wie einer dieser langen Yob-Pfeile zischte er in die Tiefe. Sein Tarnumhang legte sich noch enger um ihn. Seine Füße schlugen
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