TTB 110: Im Reich der Dämonen
die Dämonen . In Steads Vorstellung war die Menschheit zusammengeschrumpft. Er glaubte zu verstehen. Er wollte nicht verstehen ...
Mit einer weit ausholenden Bewegung drehte sich der Dämon um, verließ das Fenster und wandte sich zur Tür. Und zum erstenmal spürte Stead eine tiefe Angst – wie lange konnte er noch hier oben kauern, ohne von dem Ungetüm entdeckt zu werden?
Er wurde durch die Tür getragen, eine steile Treppe hinunter, deren Anblick ihn schwindlig werden ließ – und jeder Tritt erschütterte sein ganzes Wesen.
Widerstreitende Gefühle ließen ihn auf seinem Platz verharren. Da war zuerst einmal die Angst. Aber auch ein wachsender Wissensdurst erfüllte ihn, der Wunsch, alles zu erfahren. Dieses Gefühl hatte wenig mit dem Lerneifer zu tun, den er bei Della und Simon gezeigt hatte. Er wollte wissen, damit er sich umstellen konnte, damit er den anderen die ganze Wahrheit ins Gesicht schreien konnte.
Der Dämon betrat einen Raum, wo auf einem Holztisch eine Glasvase mit einem blühenden Strauß stand. Auf der einen Seite waren die scharlachroten Beeren abgerissen worden – rote Tropfen, die wie Blutflecken überall auf dem Tisch verteilt waren.
Ein anderer Dämon mit einem Besen kehrte ein paar menschliche Körper zusammen. Man hatte sie erwischt, als sie die Beeren stahlen.
Jan und Moke würden nie mehr in die Welt der Gehege zurückkehren.
Der Dämon, auf dessen Schulter Stead saß, gab Geräusche von sich, die Stead erzittern ließen. Es war ein Heulen und Kreischen und Johlen, wie es Stead noch nie gehört hatte. Eine große Ader am Hals des Dämons klopfte. Stead vernahm deutlich, wie das Blut schneller durch die Adern rauschte.
Hatten die Dämonen etwa Angst vor den Menschen?
Der besenschwingende Dämon – der, der sie mit dem riesigen, zusammengerollten Papier vom Tisch vertrieben hatte – drehte sich um und kam auf den Neuankömmling zu. Stead, der zusammengekauert und zitternd im Schatten der Schulter saß, bebte. Er wußte, was er tun mußte. Aber die Befehle, die sein Gehirn den Muskeln zurief, wurden nicht ausgeführt. Die panische Angst hatte die Muskeln erstarren lassen. Er mußte die Schulter des Dämons verlassen – er mußte. Er mußte sich fallen lassen und den Antrieb einschalten – er mußte ...
Aber er konnte nicht ...
Der ekelhafte Besen kehrte weiter, schüttelte Jan und Moke in einen Abfalleimer. Der Dämon wandte den massigen, flachen Schädel nach hinten. Die beiden sehenden Augen hefteten sich auf seinen Gefährten. Der Dämon schrie auf.
Eine Hand stieß auf die Schulter des Dämons nieder. Breit gespreizt, griffbereit patschte die Hand herunter, um das jämmerliche menschliche Wesen von dem blauen Stoff wegzufegen.
Die Hand zischte nach unten – und Stead hatte den Anti-Schwerkraftantrieb eingeschaltet. Er war wie betäubt. Seine eigene Furcht lähmte ihn, wirbelte ihn ziellos herum, als das Gehirn die Muskeln nicht bezwingen konnte.
Er schwankte in der Luft und versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden. Von einer Seite bedrohte ihn der Besen und von der anderen die weiße Papierrolle.
Neben der Wand stand eine Speisekammertür offen. Auf dem obersten Regal bewegte sich ein Schatten. Metall blitzte. Stead sah nach unten.
Da unten starrten ihn winzige, kalkweiße Gesichter an. Seine Kameraden.
Honey war bei ihnen. Sie winkte ihm zu. Diese tapfere, herausfordernde Geste gab ihm einen Stich ins Herz. Ihre Stimme erreichte ihn – ein dünnes Quieken in der Weite des Raums.
»Ich habe den Rückweg geschafft, Stead. Wir sind auf eine Bande Yobs gestoßen. Laß dich hier herunterfallen ... Aber schnell! Schnell!«
Das seltsame und unerklärliche Gefühl, das er für Honey hegte, ließ den Wunsch in ihm aufkeimen, daß sie, vor allen anderen, nie wieder vor dem Mythos der Dämonen Angst haben sollte. Er wollte die Schranken der Lüge durchbrechen, die seine Kameraden umgaben. Die Wildbeuter – eklige Ratten, die aus der Speisekammer der Dämonen ihr Essen stahlen.
Er wollte lachen.
Er wollte weinen.
Aber dann warf er diese Gedanken beiseite.
Er wollte leben!
Er wollte leben und zu den anderen zurückkehren und ihnen erzählen, was er entdeckt hatte. Alles – alles, was er wußte.
Als er das Gewehr hob, fragte er sich plötzlich, ob wohl auch andere diese Entdeckung schon gemacht hatten, ob andere wie er allen Rassenstolz ablegen mußten, als sie erkannten, daß sie als Parasiten in der Dunkelheit der Dämonenwelt dahinlebten.
Er dachte an
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