TTB 110: Im Reich der Dämonen
die Regeln. Und er beachtete sie nicht. Er zielte sorgfältig nach dem gigantischen, funkelnden Auge des Dämons.
Das Gewehr donnerte. Aber für den Dämon war es wohl kaum mehr als ein kleines »Plop«.
Egal – auf alle Fälle wendete die Ladung das Ungeheuer.
Das Gebrüll des Dämons war so laut, daß sich Stead die Hände über die Ohren halten mußte. Die Tür ging auf. Ein dritter Dämon trat herein, geschmeidig und gleitend, trotz seiner Plumpheit.
Aber Stead hatte sich mit Hilfe seines Antriebs auf das oberste Brett des Regals fallen lassen. Er war wieder bei seinen Freunden.
Er dachte an die würgende Angst, die er empfunden hatte – die alle Wildbeuter empfinden mußten –, wenn sie in die Außenwelt gingen. Das hemmte sie, auf Entdeckungsreisen zu gehen. Ob wohl je andere vor ihm zu diesen Schlußfolgerungen gekommen waren? Er war davon überzeugt.
Jemand packte seine Arme mit hartem Griff und drehte sie nach hinten. Jemand nahm ihm sein Gewehr ab.
»Wir werden dich nicht gleich töten, Stead«, sagte Thorburn. »Du wirst im Hauptquartier abgeliefert und einem ordentlichen Gericht überstellt. Wir sind schließlich keine Barbaren. Du hast die Regeln schwer mißachtet ...«
»Natürlich!« Erst jetzt verarbeitete Stead allmählich die Eindrücke, die er vorhin aufgenommen hatte. »Ich tat es, um mein Leben zu retten. Aber ich habe entdeckt ...«
»Führt ihn ab!« Old Chronics Stimme bebte vor Zorn, ja sogar Haß.
Diese Leute, die seine Kameraden gewesen waren – sie hatten sich verändert. Er traf nur auf feindselige Blicke. Harte Augen starrten ihn an. Er war ein Geächteter, ein Verbrecher.
»Aber ...« Seine Stimme war bittend, ungläubig. »Aber ich weiß, wer die Dämonen in Wirklichkeit sind.«
»Wir auch. Und die Regeln verbieten ausdrücklich, daß man einen Dämon angreift.« Thorburn eilte der Gruppe mit langen Schritten voraus. Der dunkle Weg neben dem Eingangsloch war mit toten Yobs übersät. »Du hast das schlimmste Verbrechen begangen, das es gibt, Stead. Und du wirst merken, daß sich bei dem Verfahren keine einzige Stimme zu deinen Gunsten erheben wird. Du wirst sterben, Stead, einen schrecklichen Tod sterben – weil du die Regeln mißachtet hast.«
»Aber ich habe doch nur mein Leben gerettet.«
»Dein Leben! Dein Leben! Weißt du denn nicht, daß uns ab jetzt die Dämonen gnadenlos jagen werden? Die nächsten Generationen werden keinen Frieden mehr haben.«
Das ernüchterte Stead. Daran hatte er nicht gedacht ...
Die Wichtigkeit seiner Entdeckung schrumpfte plötzlich zu einem Nichts zusammen.
Er erinnerte sich kummervoll an die Gefühle, die diese Wildbeuter in ihm erweckt hatten – an ihre Kameradschaft, ihre Freundschaft, das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt hatten. Er erinnerte sich daran, wie er mit ihrer Hilfe in seinen neuen Aufgabenkreis hineingewachsen war. Längst schon hatte er die verächtlichen Worte bereut, mit denen er zu Della und Simon über die Wildbeuter gesprochen hatte. Die Welt der Gouverneure erschien ihm nicht mehr so glanzvoll wie früher.
Doch das war jetzt vergessen. Verstanden denn diese Tölpel nicht, was das alles bedeutete? Er war sicher, daß sie ähnliche Erfahrungen wie er gemacht hatten. Absolut sicher. Sie mußten wissen, daß die Menschheit in den dunklen Kellern der Dämonen ein Schmarotzerdasein führten. Daß sie die Brösel aus den Speisekammern der Dämonen stahlen. Sie mußten es einfach wissen.
Schweigend und grimmig marschierte die Gruppe vorwärts. Stead hatte wie die anderen das Gefühl, daß Eile nottat. Ein dunkles Schicksal schien über ihnen zu hängen und ihre Gedanken zu bedrücken. Weit häufiger als sonst sah man sie nach hinten blicken. Der Weg vor ihnen wurde völlig außer acht gelassen. Cardon runzelte die Stirn und schloß auf. Sein Gesicht war womöglich noch finsterer als sonst. Man hatte das Gefühl, daß ihm sein Posten als Nachhutmann heute Sorgen bereitete.
Als sie schließlich in das Lager einmarschierten, sahen sie sich einer abwehrenden Front gegenüber. Honey, die Steads Tat schon über Funk angekündigt hatte, konnte ihn nicht ansehen. Ihr Gesicht beugte sich tief über ihr Gerät.
Die Leute des Kommandanten und Purvis hatten sich formiert. Überall starrten Stead verbitterte, feindselige und ängstliche Gesichter entgegen. Man beobachtete ihn in eisigem Schweigen. Dann kletterten die Leute auf die Lastwagen. Der Konvoi setzte sich in Bewegung.
Stead saß mit gefesselten Händen da. Er
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