TTB 111: Im Banne der Zeitmaschine
die Lichter.
»Du läßt dich zu voreiligen Schlüssen verleiten, Chester. Einfache Lösungen sind nicht immer richtig. Noch mal.«
Die Lämpchen glühten wieder auf. Beim fünften Versuch leuchteten endlich alle gleichzeitig. Chester lächelte zufrieden.
»Gut«, sagte Kuve. »Wenn du hintereinander drei richtige Lösungen gefunden hast, gehen wir zu etwas komplizierteren Arrangements über.«
»Diesmal war es schon schwierig genug, Kuve«, beklagte sich Chester. »Die Reihenfolge scheint sich zu verändern, während ich die Lampen beobachte.«
»Richtig, der Mechanismus sorgt selbständig für eine gewisse Progression.«
»Ich bin aber mehr lyrisch veranlagt. Du kannst nicht verlangen, daß ich wie ein Elektronenrechner funktioniere.«
»Bevor das Jahr zu Ende ist, bist du selbst anderer Meinung. Dieser Trainingsabschnitt soll dazu dienen, nach und nach bestimmte Teile deines Gehirns auszubilden, die bisher nicht beansprucht worden sind.«
»Das klingt nicht sehr nett«, meinte Chester mißtrauisch. »Was ist darunter zu verstehen?«
Kuve wies auf die Wand hinter sich. »Sieh dort hinüber.« Er hob die Hand und hielt sie knapp innerhalb Chesters Gesichtsfeld in die Höhe.
»Wie viele Finger habe ich ausgestreckt?«
»Ich weiß nicht; ich erkenne nur, daß dort eine Hand ist.«
Kuve bewegte einen Finger. »Hast du eine Bewegung wahrgenommen?«
»Natürlich.«
Kuve bewegte nacheinander alle Finger und nickte zufrieden. »Du hast jede Bewegung gesehen«, stellte er fest. »Das beweist, daß alle vier Finger sich innerhalb deines Gesichtsfeldes befinden.« Er streckte zwei Finger aus. »Wie viele Finger halte ich hoch?«
»Ich kann es nicht sagen.«
»Du siehst die Finger, Chester; das hast du vorhin bewiesen. Und trotzdem bist du nicht in der Lage, die Finger zu zählen, die du erkennst. Das bedeutet, daß das gesehene Bild an einen Teil des Gehirns weitergeleitet wird, den du bisher nie benutzt hast. Die Intelligenz dieses Teils entspricht etwa der eines Hundes, der eine Gruppe von Kindern sieht, ohne sich einen Begriff von ihrer genauen Anzahl machen zu können.« Kuve ließ die Hand sinken. »Dieser Teil deines Gehirns muß ausgebildet werden, Chester. Wollen wir es wieder mit den Lämpchen versuchen?«
*
Chester lehnte sich gegen das Geländer an der Plattform des Fünfundzwanzigmeterturms, spürte die Sonne auf seinen Schultern und beobachtete Kuve, der vier Seile über das Schwimmbecken spannte.
»Die Seitenlänge des Zielquadrats beträgt jetzt einskommafünf Meter«, sagte Kuves Stimme aus dem reiskorngroßen Instrument hinter Chesters linkem Ohr. »Du springst, wenn das Signal ertönt.«
Ein leiser Pfiff ertönte in Chesters Ohr – und dann schoß er in ausgezeichneter Haltung wie ein sonnengebräunter Pfeil durch die Luft, tauchte fast ohne Spritzer in das Wasser ein und kraulte auf den Rand des Beckens zu.
»Du hast in den ersten beiden Wochen gute Fortschritte gemacht«, stellte Kuve fest und ging neben Chester her auf den Tisch zu, wo ein kleines Steak auf ihn wartete. »Jetzt kennst du deine Grenzen und hast deine ursprüngliche Trägheit verloren. Deine Muskeln sind in Form, obwohl du noch viel an dir arbeiten mußt, bis sie maximal entwickelt sind. Von heute an konzentriert sich unser Training auf Reaktionsfähigkeit, Ausdauer und den zweckmäßigen Einsatz der körperlichen Reserven.«
»Wenn man dir zuhört, könnte man den Eindruck bekommen, ich hätte bisher noch gar nichts geschafft. Wie steht es mit den Sprüngen vom Turm. Aus fünfundzwanzig Meter Höhe sieht das Zielquadrat ziemlich winzig aus.«
»Diese Übung sollte nur dazu dienen, dein Selbstbewußtsein zu heben. Das eigentliche Studium fängt erst jetzt an. Wir beginnen mit einfachen Spielen wie Fechten, Reiten, Seiltanzen, Jonglieren, Tanzen und Kartentricks, um dann allmählich zu abstrakten Dingen überzugehen.«
»Wofür soll das gut sein – damit ich später im Zirkus auftreten kann?«
Kuve überging die Unterbrechung. »Der nächste Teil der Ausbildung fängt gleich nach dem Essen an.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Also in genau vier Minuten.«
Mina erschien auf der Terrasse. Sie trug zwei Gesichtsmasken und zwei Florette unter dem Arm. Chester verschlang sein Steak, zog eine wattierte Jacke an und griff nach dem Florett, das Mina ihm reichte.
Mina nahm ihren Platz ein – die rechte Hand am Griff der Waffe, Arm und Handgelenk gestreckt, Füße im rechten Winkel zueinander, die Linke in die
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