TTB 117: Lichter des Grauens
T’Glastonbury an. Eisige Kälte sprach aus den alten müden Augen. Die Greisenhand voller Silberringe lag ruhig auf dem Pult. Dann beschloß Renaut, dem Verteidiger zu erwidern.
»Bitte«, sagte Renaut, »hören Sie mich an, und hören Sie genau zu, Verteidiger T’Glastonbury. Ich habe seit rund dreißig Jahren nichts anderes getan, als ununterbrochen Recht zu sprechen. Ich scheine es zu können, sonst säße ich nicht hier. Sollten Sie beabsichtigen, mich in die Mysterien einer Verhandlung nach Imperiumsrecht einzuführen?«
T’Glastonbury erbleichte und umklammerte den Granit seines Pultes mit beiden Händen. Der Stein war kalt.
»Keineswegs, Euer Gnaden …«, erwiderte er.
Renaut sprach sofort weiter. »Für gewöhnlich ist es gesellschaftliche Pflicht eines jeden auch nur halbwegs erzogenen Erwachsenen, seinen Gesprächspartner ausreden zu lassen.
Gesprächspartner sind wir hier, meine Herren. Ich, Renaut, Sie, Thyerry und Sie, T’Glastonbury. Ich würde vorschlagen, daß wir den Stil des Obersten Terranischen Gerichtshofs zu wahren versuchen – auch, wenn es schwierig sein sollte. Ich habe Ihren Einwand verstanden und werde ihn berücksichtigen.
So, wie ich jenen der Anklage berücksichtigen werde.
Fahren Sie fort, Herr Ankläger. Lassen Sie sich nicht mehr unterbrechen. Gewisse Dinge brauchen ihre Zeit; Eile schadet.« Schließlich sagte Renaut versöhnlich: »Setzen Sie sich wieder, Herr Verteidiger. Wir alle sind sehr gespannt darauf, was die Anklage vorbringen wird.«
»Bitte, Nivard!«
Die Kamera verweilte, während der Ankläger seine unterbrochenen Ausführungen wieder aufnahm, auf dem Gesicht des Verteidigers. Trotz der eingeschalteten Klimaanlage des Kristalldoms glitzerten winzige Schweißtropfen auf der Stirn des Mannes, und das Gesicht darunter war sehr bleich.
»Ich schilderte kurz«, sagte Thyerry laut, »daß von den fünfhundertachtzehn Sternenschiffen, über die das Imperium verfügte, im Jahr 2144 achtzehn Schiffe verlorengingen. Sie verschwanden einfach, genauer gesagt: Sie detonierten.
Mit ihnen die Fracht, mit ihnen die Menschen, die in versiegelten Stahlröhren schliefen und künstlich ernährt wurden. Mit den Schiffen lösten sich auch die Piloten auf; Männer, deren Ausbildung das Imperium pro Pilot zwei Millionen Interstellare Dollar gekostet hatte. Nur eine kleine Kugel blieb übrig, die uns genau schilderte, was in den Minuten vor dem Unfall geschehen war.
Was war geschehen? Schlicht ausgedrückt – der Pilot war wahnsinnig geworden. Er hatte sich in ein heulendes, zitterndes Wesen verwandelt; ein schwachsinniges Tier, das wahllos Instrumente zerstörte und durch Fehlschaltungen das Schiff ruinierte. Das geschah bis heute vierzigmal. Vierzig Piloten, dreihundertneunundachtzig Menschen und vierzig Schiffe, deren Laderäume angefüllt waren … alles verloren. Warum war der Pilot wahnsinnig geworden? Heute wissen wir es. Seit dem ersten Trainingsflug hatte sich in den Männern eine Neurose aufgebaut. Sie ertrugen die Gefühle nicht. Das Gefühl der absoluten Einsamkeit, denn nirgends ist ein Mensch so einsam wie ein Pilot im Pararaum. Es gibt keine Parallelen. Das Gefühl der ungeheuerlichen Stille … Jedes Schiff ist hochtechnisiert. Diese Technik ist meistenteils völlig geräuschlos. Das Umlegen eines Schalters oder ein Hebel, der einrastet, sind Pistolenschüsse in vollkommener Stille. Jedesmal reißt etwas an den Nerven des Piloten. Und schließlich die Sterne selbst. Sie stehen auf den Schirmen, ohne die der Pilot nicht navigieren kann, ohne die kein noch so kompliziertes Robotgerät auskommen kann. Diese Sterne, die Gasschleier, die blauen Nebel der Filamente, Inseln aus Sternenmaterie, dazwischen die unfaßbare Schwärze, die Leere … Sie waren es, die einwirkten wie eine gigantische Presse.
Diese Presse schlug den Piloten in eine Form, die ihresgleichen sucht.
Und nach spätestens acht Jahren drehte der vernünftigste Mann durch. Er wurde wahnsinnig. Viele Dramen geschahen. Wir konnten sie von den Magnetbändern der ausgestoßenen Funkkugeln ablesen. Männer versuchten, mit dem letzten Rest der Selbstbeherrschung aus der Steuerkanzel zu kriechen, bekamen den Höhepunkt einer Kakonkrise in einem Korridor zu spüren und stürzten sich in den hochgefahrenen Meiler, der detonierte – und mit ihm das Schiff. Oder sie ruinierten die Steuerkabine.
Oder sie erschossen sich mit der Dienstwaffe, und das Schiff raste steuerlos in eine Sonne. Vierzigmal. Vierzig
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