Tu dir weh
sich kalt und distanziert. Aber eigentlich schaudert es ihr innerlich. Denn wenn du Marco nicht schlecht behandelst, frisst er dich auf.
Sie besteigen das Boot. Vito sagt, dass sie fantastisch aussehe. Anna sagt ihr, sie sei sexy und dass sie sich ihr nicht gewachsen fühle. Sie weiß, dass sie der Joker des Abends sein wird. Im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Sie spielt ein wenig, zeigt ihre Oberschenkel, indem sie die Beine übereinanderschlägt, den Mund halbgeöffnet.
Es ist kalt.
Das Boot ist innen mit Holz verkleidet: fünf Bänke mit weißen Kissen sind kreisförmig angeordnet. In der Mitte steht ein Tisch. Es gibt ein kleines Bad und einen Kühlschrank. Vito fragt Stella und Marco, was sie trinken möchten. Stella erklärt, dass sie Baileys liebe. Und deshalb wird so entschieden: Likör für die Frauen und Jägermeister für die Männer.
Die Stimmung wird lebendiger. Es wird über Reisen und Entdeckungen geredet. Vito und Anna prahlen mit all den Dörfern und Städten am Meer, die sie besucht haben: die Türkei, Kroatien, Tunesien.
»Ich würde gern nach Barcelona«, sagt Marco.
Sie erinnert sich an die Nachricht:
Würdest du mit mir durchbrennen? Hast du Lust nach Berlin abzuhauen? Bastard! Lügner!
Stella erzählt von Griechenland, ihrem Interesse für die griechischeTragödie und die Mythologie, von ihrem Studium, ihren Europareisen und den Museen, die sie besucht hat.
»Was für ein kluges Mädchen!«, sagt Vito.
Nach dem fünften Glas gibt Vito Marco zu verstehen, er solle hinausgehen, und er selbst folgt ihm, indem er vorgibt, etwas überprüfen zu müssen. Marco behauptet, er müsse auf die Toilette.
Die zwei Frauen bemerken es nicht. Beim Aufstehen berührt Marco Stellas Hüfte, sie spürt seine Hand wie einen Saugnapf auf der Haut. Anna betrachtet Stella unverwandt, beschaut ihr Kleid, ihren Körper. Ihr Kleid ist enganliegend und gibt ihre Körperform getreu wieder, der Ausschnitt gibt den Blick auf die Rundungen ihrer Brüste frei. Ein paar lose blonde Strähnen fallen ihr ins Gesicht und werfen bewegliche Schatten, verleihen ihr etwas Geheimnisvolles. Sie hat die glatte weiße Haut eines Kindes, aber die Augen eines Tigers.
Sie sitzen sich gegenüber. Stella bemerkt ein paar Falten um Annas Augen, genau drei ziehen sich um jedes Auge. Anna entkleidet Stella mit ihren Blicken, ohne jedoch etwas anderes hervorzubringen, als wie schön sie sei. Stella findet das ziemlich unterhaltsam, obwohl ihr diese Frau überhaupt nicht gefällt, im Gegenteil, die Idee, mit ihr Sex zu haben, ekelt sie fast ein bisschen. Aber sie amüsiert die Art, wie Anna sie ansieht, wie ihre Stimme zittert, wenn sie wiederholt, wie schön Stella sei, sie genießt es, ihre Verlorenheit zu spüren. Stella empfindet gleichzeitig so etwas wie Mitgefühl und Überlegenheit.
Sie erwartet nichts anderes als: »Hast du es schon mal mit einer Frau gemacht?«
»Mit sehr vielen, du?«, antwortet Stella.
»Nein, nie.« Sie senkt die Augen.Marco tritt in das kleine Bad, lässt die Tür einen Spaltbreit offen. Er sieht die beiden Frauen nah beieinander sitzen und sich unterhalten, hört jedoch nichts. Worauf es für ihn ankommt, ist, dass sie abgelenkt sind. Im richtigen Moment geht er aus dem Bad und stiehlt sich, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, in den hinteren Teil der Kajüte. Es ist dunkel und riecht nach Holz. Durch einen Schlitz in der Verkleidung zeigt sich ein leuchtender Sternenhimmel. Marco ertastet die Beschaffenheit der Dinge, die ihn umgeben. Regale, Gummischläuche, Ringe, eine Treppe. Eine Holztreppe. Drei Stufen, und er ist draußen. Es ist nicht kalt, aber eine leichte Brise streift über seine Haut.
Stella fährt mit der Hand über Annas rauen Hals, streicht den Nacken entlang. Sie spürt den reifen Frauenkörper vor Lust beben wie ein kleines Mädchen beim ersten Kuss.
Ich kann es besser als Marco.
Annas Unsicherheit erregt sie. Stella drückt ihre Lippen auf die der Frau, und schiebt ihr die Zunge in den Mund. Der Geschmack ist ein ganz anderer als der von Marcos Küssen. Jetzt, da sie daran denkt, stellt sie fest, dass sie nie auf den Geschmack von Küssen geachtet hat, vor allem mit Marco nicht, sie ist immer zu sehr in den Kuss vertieft gewesen, um davon Notiz zu nehmen. Dieser jetzt schmeckt jedenfalls nach Tabak und Süßspeisen, in Teilen süßlich und in Teilen abscheulich. Doch sie überwindet ihr sinnliches Empfinden und konzentriert sich ganz auf die Bewegungen ihrer eigenen Zunge
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