Tuchfuehlung
Reißverschluss am Bauch. Kein Hindernis.
Mir ist schwindelig. Mein Kopf irgendwie ausgeschaltet. Meine Hand gibt erst Ruhe, als sie zwischen seinen Beinen liegen bleibt.
Ich habe aufgehört zu atmen, höre seine Stimme jetzt leise an meinem Ohr.
Was hat er gesagt?
Da reißt der rote Himmel auf.
Frau Dressel steht über uns. Mit dem Laken in der Hand. Entsetzen auf ihrem Gesicht.
Erst sagt sie nichts. Dann nur das eine Wort: «Zeno!»
Der Ton ihrer Stimme lässt keinen Zweifel. Das, was ich getan habe, hätte ich nicht tun dürfen.
Sie schickt uns in den Garten.
« Mit Höhlenbauen ist jetzt Schluss!»
Das musste sie uns nun nicht mehr sagen.
Am Mittag redet sie mit Steffens Mutter. Mit Frau Schwarz. Anschließend spricht sie mit meiner Mutter.
Ich würde mich am liebsten unsichtbar machen. Mich in Luft auflösen. Im Erdboden verschwinden.
Zu Hause verkrieche ich mich in meinem Zimmer. Lege mich aufs Bett. Will nichts fühlen, nichts denken. Und denke doch nur — an ihn.
Da geht das Telefon. Ich weiß genau, wer es ist.
Die Stimme meiner Mutter ist laut. Lauter als sonst.
« Das ist doch lächerlich!»
«Ich finde, das grenzt an Hysterie!»
«Normale Kinderspiele sind das! Mit Perversion hat das nichts zu tun!»
«Warum müssen Sie diese Gesc hichte so dramatisieren ?»
«Ich versteh das nicht! Wirklich nicht, Frau Schwarz!»
Dann ist es still.
Ich vergrabe meinen Kopf unter dem Kissen. Irgendwann spüre ich ihre Hände auf meinem Rücken. Höre ihre Stim me. Leise und ruhig.
«Das war in Ordnung, Zeno. Du hast nichts Schlimmes getan. Wenn du jemanden magst, dann darfst du ihn auch anfassen. Das ist normal. Egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Die einzige Bedingung: der oder die andere muss es auch wollen!»
Ich weiß nicht mehr, wie lange sie noch an meinem Bett gesessen hat. Irgendwann jedenfalls bin ich eingeschlafen.
Von diesem Tag an wollte ich nicht mehr in den Kinder garten gehen.
Ich habe geweint. Ich habe Kopf- und Bauchschmerzen vor getäuscht. Ich habe mich im Keller versteckt. Ich habe mich auf den Boden geworfen.
«Nein, Zeno!», hat sie gesagt. «Das ist keine Lösung! Du hast nichts getan, wofür du dich schämen musst. Wirklich nicht!»
Sie hat mich an die Hand genommen und mich zum Kindergarten gebracht. Wie jeden Morgen. So, als wäre nichts passiert.
An diesem Tag komme ich als Letzter.
Die Kinder sind im Garten. Alle.
Und Steffen?
Ich seh ihn sofort. Er sitzt im Sandkasten. Allein sitzt er da und baut.
Eine Höhle aus Blättern und Zweigen.
Mein Herz klopft. Trotzdem. Ich setze mich neben ihn. Und er schaut mich an und lächelt.
«Meine Mutter!», sagt er.
Mehr sagt er nicht.
Aber sein Lächeln ist verschwunden.
Nie wieder haben wir eine Höhle gebaut.
Nie wieder haben wir uns angefasst.
Aber wir sind Freunde geblieben. Unsichtbare Freunde.
Freunde, die sich niemals verabredeten, die sich niemals trafen.
Frau Schwarz hatte es verboten.
Und doch gab es immer dieses unsichtbare Band. Und das bekam keinen Riss. Niemals.
Nach dem Kindergarten die Grundschule.
Steffen blieb der Kleinste. Der Schwächste. Richtig gesund wurde er nie.
Seine Krankheit war sein Schutz. Sie ließen ihn in Ruhe. Steffen durfte weinen, er durfte langsam sein, er durfte undeutlich sprechen, er durfte Fehler machen. Ich durfte das alles nicht. Über mich haben sie gelacht.
Das unsichtbare Band zwischen uns blieb. Vier Schuljahre lang.
Dann der letzte Sommer. Der allerletzte.
Mit diesem besonders heißen Juni.
Ich liege im Schatten. In der Hängematte unter der Rotbuche. Nur so lässt sich diese Hitze ertragen.
Ich erhebe mich nur, wenn mich die kalte Dusche lockt. Laura bringt mir einen Stapel Bücher. Dabei weiß sie genau, dass Lesen nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Erst recht nicht bei diesen Temperaturen. Ich träume mir lieber meine eigenen Bücher im Kopf.
Aber das ist Laura nicht genug.
«Tu endlich mal was für dein Hirn. Das verfault sonst, Zeno!»
Ich blättere in meinen Comics und den Tierzeitschriften. Schlürfe Eistee. Bis Laura mir den neuen Basketball an den Kopf wirft.
«Komm, Zeno! Probier ein paar Würfe! Du rostest sonst ein. Echt!»
Also erheb ich mich dann doch. Damit sie endlich Ruhe gibt. Geh vors Haus. Wo mein Vater ein Netz an die Hauswand montiert hat. Für Zeno Zimmermann. Seinem unsport lichen Sohn. Er hat die Hoffnung immer noch nicht aufgege ben, dass aus mir noch mal ein richtiger Mann werden könnte.
Der
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