Tuchfuehlung
Zimmer. Schrank, Bett, Schreibtisch, Notenständer, zwei Violinen. In den Regalen Bücher, auf dem Boden eine Musikanlage, auf der Fensterbank Blumen, an den Wänden Poster. Fotografien von New York. Aufgeräumt und ordentlich.
Keine Puppen, keine Plüschtiere. Was könnte mich verraten? Mein Herz klopft. Wenn sie jetzt den Schrank öffnen? Lauras Unterwäsche könnte mein Verhängnis sein.
«Sieht so unbewohnt aus!», sagt Alex und durchbohrt mich mit seinem Blick.
« Geige, echt geil! Spiel mal was!», sagt Tom.
«Genau!», sagt Jannik. Sie lassen sich aufs Bett fallen und warten.
«Ich kann ’ s nicht mehr. Ist ewig her, dass ich Unterricht hatte!», rede ich mich raus.
Die Sekunden werden zur Ewigkeit.
«Der Champagner wird warm, Leute!», fällt mir rettend ein. «W ä r schade! Diese Sorte kann ich euch nicht jeden Tag anbieten. Los, kommt!»
Ich geh zurück ins Wohnzimmer. Werf ihnen ihre Musik in den CD-Player und gieße die Gläser voll. Sie sind mir wirk lich gefolgt. Und kippen den Champagner in einem Zug runter.
«Schmeckt!», sagt Tom.
«Bier ist besser!», findet Alex.
«Whisky am besten!», sagt Jannik.
Trotzdem, nach zehn Minuten ist die Flasche leer. Ich schau immer öfter auf die Uhr.
«Spendierst du noch ein Bier?»
Hoffentlich kommt mein Vater pünktlich. Eine halbe Stun de kann ich die noch aushalten.
«Ich muss in den Keller!», sage ich. «Das Bier ist unten!»
«Wir haben Zeit!»
Jannik macht den Fernseher an. MTV. Ich hoffe, sie bleiben sitzen und durchsuchen nicht die Wohnung.
Im Treppenhaus atme ich auf. Ich lass mir Zeit. Heute nehme ich langsam eine Stufe nach der anderen. Die drei Killer sind erst mal beschäftigt.
Was hat Eva gesagt? Diese Klasse ist was für die Abgehärteten der Nation oder für die, die es werden wollen ?
Fast glaube ich, sie tun mir gut. Die drei Killer. Es gelingt mir, sie auszuhalten. Und ich lebe schließlich noch. Nennt man das Abhärtung?
Unten im Flur sehe ich endlich mal wieder die neuen Mieter. Die beiden Männer und das Kind. Sie lächeln freundlich, wie immer. Sagen: «Hallo.» Wie immer. Mehr nicht.
Zwei Männer, eine Frau, ein Kind?
Langsam werde ich neugierig.
Zum Bier stelle ich ihnen Chips und Erdnüsse auf den Tisch, bevor sie wieder nach der Mikrowelle schreien. Sie sind ausgehungert, wie immer. Erdnüsse und Chips sind verschwunden, als wären sie nie gewesen.
«Ich könnte noch Käsebrote machen », sage ich. Sie nicken.
Ich gehe in die Küche und belege Brote mit Käse, extra dick. Irgendeiner sagt danke. Friedliches Kauen. Dann das Telefon. Mein Vater. Er hat einen Tisch beim Italiener be stellt. Ich soll schon mal rübergehen. Die Killer sind ent täuscht. Sie wären am liebsten ewig auf dem gelben Sofa sitzen geblieben. Aber sie verziehen sich dann doch.
«Bis morgen!», sagen sie.
Ich werde neue Chips und Erdnüsse kaufen. Vielleicht auch ein paar Fertigpizzas als Reserve.
Ob sie das T-Shirt geklaut haben? Egal! Auch, wenn ich ’ s schrecklich finde, ich freu mich doch.
Das Geburtstagsessen verläuft friedlich. Beate Minnerup überreicht mir strahlend ihr Geschenk. «Obsession» von Cal vin Klein. Das Eau de Parfüm, das Duschgel und die Body-Lotion. Rasierwasser brauch ich noch nicht. Das hat sie wohl gemerkt.
«Wahnsinnig!», sage ich. « Danke!»
Ich freu mich wirklich. Woher weiß sie, dass ich auf solche Düfte steh?
Auch heute esse ich Lachs. Auch heute reden sie über Ibiza.
« Du fähr st doch zu ihr über Weihnachten ?», sagt mein Vater.
«Ja, ja!», sage ich.
Um elf liege ich im Bett. Mit «Gelöschtem Wein». Den weißen Plüschhasen hab ich in den Schrank gepackt. Ich will mich nicht erinnern.
Der Tag war nicht schlecht. Ich bin zufrieden. Kein besonderer Absturz. Wenn das Jahr so weitergeht, dann kann ich beim nächsten Geburtstag die todsichere Packung vielleicht für immer entsorgen.
Wie gehabt: Regen, Nebel, tiefe Wasserpfützen. Typisch November. Nur noch drei Grad. Da können die Killer wirk lich nicht verlangen, dass ich ihr T-Shirt anziehe. Aus Lauras Schrank hole ich mir den dicken Wollpullover aus Irland. Vielleicht überlebe ich damit den November.
Am Nachmittag hole ich den schwarzen Samt aus dem Schrankversteck. Ich breite ihn auf dem Boden aus. Streiche darüber. Immer wieder. Ich bin aufgeregt, meine Hände schwitzen. Ich habe Mühe, die Schere zu halten. Da höre ich den Schlüssel in der Wohnun gstür. Frau Minnerup vielleicht ? Aber die hat keinen Schlüssel. Noch
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