Tuchfuehlung
chen? Das ist mein Revier, und die Geschäfte gehen schon schlecht genug!»
Ich schau ihm auf die Hände, auf diese schönen, schlanken Hände. Was haben diese Hände gerade getan? Hier in der Herrentoilette?
Zeno Zimmermann, wach auf! Verschwinde! Schnell!
Aber ich bleibe stehen und kann nicht aufhören, auf diese Hände zu schauen.
«Bist du taub oder was?» Seine Stimme ist nicht wirklich unfreundlich. Nein, aggressiv ist er nicht.
«Gehn wir was trinken?»
Nein, Zeno Zimmermann, nein!
Ich nicke.
«Weißt du ‘ ne Kneipe hier? Ich kenn mich in dieser Stadt noch nicht aus. Nur am Bahnhof. Aber auch noch nicht lange. Man muss ja öfter die Plätze wechseln. Aber das weißt du ja selbst. Dich seh ich heute jedenfalls das erste Mal. Wie lange bist du schon dabei?»
«Überhaupt nicht!», sage ich.
«Aha!», sagt er. «Willst du erst einsteigen?»
«Nein!», sage ich und schlage den Weg ins «Lenz» ein. Er läuft hinter mir her. Seine weißen Jeans sind schon nicht mehr weiß. Schwarze Dreckspritzer bis zum Knie.
«Magst du?», er hält mir eine Packung unter die Nase.
«Nein danke. Zu leicht für mich.»
Was ist passiert? Keine Ahnung, weshalb ich so ruhig bin. Weshalb ich nicht die Panik krieg. Ich sitze hier mit einem wildfremden Typen in der Kneipe. Mit einem Stricher, der heute schon einiges hinter sich hat, 300 verdient, erzählt er gerade. Er redet vom Runterholen und Blasen wie andere vom Tee- und Kaffeetrinken.
Was ist los, Zeno Zimmermann? Worauf lässt du dich ein? Verschwinde, bevor es zu spät ist. Aber irgendeine Stimme sagt, bleib. Lauf nicht immer weg! Schau dir an, was passiert. Es passiert nichts, was du nicht wirklich willst.
«Ich heiße Leon!», sagt er und bestellt sich einen Milchkaffee.
«Ich bin Zeno!»
«Einen Rotwein, bitte!»
Ich bin ruhig, seltsam ruhig.
Und doch lauert irgendwo eine unruhige Ecke in mir. Ich versuche, sie durch den Rotwein zu verscheuchen. Aber sie lässt sich nicht verscheuchen. Sie bleibt und wächst. Sie wird größer, immer größer. Ich schütte mir den Rotwein rein. Aber der wirkt heute nicht.
Aus dem Automaten ziehe ich eine Packung Camel. Ich halte die Zigarette zwischen meinen Fingerspitzen, zünde sie an der Kerze an, die vor uns auf dem Tisch steht. Meine Hände zittern. Der erste Zug bringt mir die Ruhe ein Stück zurück.
Er betrachtet mich. Die ganze Zeit beobachtet er mich.
«Bist du immer so ernst?», sagt er jetzt.
Ich überlege. Bin ich ein ernster Mensch? Wahrscheinlich schon. Das Lachen habe ich für mich erst jetzt entdeckt. Durch Sophia.
Er wartet meine Antwort nicht ab.
«Ich will meinen Spaß! Ich will nicht groß nachdenken über das Leben, es ist kurz und beschissen genug! Ich will mich amüsieren, so lange es geht. Irgendwann packt dich sowieso die Aids-Kralle. Alt werden Leute wie wir sowieso nicht!»
Jetzt schaut er mir ins Gesicht. Und ich weiche seinem Blick nicht aus. Er ist schön. Ich betrachte ihn gern. Dieses schmale Gesicht. Zerbrechlich fast. Hohe Wangenknochen, eine markante Nase, lange dunkle Augenwimpern, volle Lippen. Die Bräune aus der Tube oder von der Sonnenbank. Er lächelt. Aber ich trau diesem Lächeln nicht ganz.
« Meine Eltern haben mich vor vier Wochen rausgeschmissen. Sie haben mich mit einem Freund im Bett erwischt. Jetzt wohn ich mal hier, mal da. Das Geld, das ich verdiene, reicht zum Leben!» Er zwinkert mir zu. «Es reicht auch für ein paar Extras. Für Sekt zum Beispiel, jetzt!»
Er bestellt eine Flasche. Die Hausmarke für 55 Mark. Nach dem dritten Glas hat er wohl endlich seine gewünschte Tagesform. Er lacht, verzieht das Gesicht zu witzigen Grimassen. Ich sehe seine Zähne, gerade, schneeweiß. Sein Kieferorthopäde hat gute Arbeit geleistet. Er redet und redet. Ohne Pause. Flucht vor der Stille? Bedeutet Schweigen Gefahr? Angst vor der Erkenntnis? Mir ist unbehaglich. Lohnt dieser Spaß? Kann das alles sein? Dieses Leben?
«Mensch, Zeno! Was ist los?»
Er fasst meine Hand. Ich trinke mein Glas leer. Ein wenig benebelt fühl ich mich, seltsam schwerelos. Ich zieh meine Hand nicht weg. Obwohl ich mit dieser Hand auf meiner Hand endgültig verloren bin. Ein Schmerz durchfährt mich, eine Trauer zieht durch meinen Körper. Es ist, wie es ist, Zeno! Er lässt seine Hand liegen, und mit dieser Hand durchdringt mich eine Sehnsucht, von der ich weiß, dass sie mich nie wieder verlassen wird.
Es ist so! Zeno Zimmermann ist schwul!
Ich trinke mein Glas leer. Ich proste mir zu. Und
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