Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
Vom Netzwerk:
werf ich mich aufs Bett und heule. Irgendwann klebe ich eine Marke auf den Brief und bringe ihn zum Postkasten. Drei Wochen Bedenkzeit. Drei Wochen Ruhe. Und dann? Keine Ahnung, was dann passiert.
    Zum Glück hat der Dauerregen immer noch nicht aufgehört. Also muss ich nicht nach draußen. Obwohl ich gerne mit ihr rausginge. Ich hätte wirklich große Lust, Sophia im Wagen vor mir herzuschieben. Oder sie auf meinen Schultern herumzuschleppen. Sophia macht keinen Stress, sie weint nicht, sie lacht, sie freut sich immer. Sie ist einfach glücklich.
    Und sie isst gerne. Also backe ich Kuchen, koche Pudding. Ich lese ihr Geschichten vor, hole stapelweise Bilderbücher aus der Bücherei, ich bade sie, sitze an ihrem Bett, ihre kleine warme Hand in meiner Hand. Bis sie eingeschlafen ist. Die Tage fliegen davon. Mir geht es gut. Ich glaube, Sophia hat mich gerettet. Den «Gelöschten Wein» brauche ich nicht mehr.
    Das Matrosenkleid ist fertig. Übermorgen ist Sophias Geburtstag. Und in der nächsten Woche ist schon der erste Advent. Ich habe angefangen, einen Adventskalender zu nähen. Einen Tannenbaum aus grünem Stoff. Daran nähe ich vierundzwanzig Ringe, und an die Ringe hänge ich vierund zwanzig kleine Päckchen.
    Es ist so schön zu sehen, wie sie sich freuen kann!
     
    Heute schicken sie mich zum Bahnhof. Zwei Rückfahr karten nach München fürs Wochenende. Nichtraucher, Groß raumwagen. Statt Babysitting dieser Auftrag heute. Sophia ist bei ihrer Oma.
    «Ist das zumutbar, Zeno ?»
    Sophia wäre mir lieber gewesen. Hoffentlich läuft mir keiner aus der 9 f über den Weg!
    Der Duft von Reibekuchen in meiner Nase. Ich stell mich in die Warteschlange. Dann liegen sie wie immer bleischwer in meinem Magen, aber trotzdem, sie tun mir gut.
    Die Schlange am Fahrkartenschalter ist endlos. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, immer noch vier Leute vor mir. Besonders wohl ist mir nicht. Was passiert, wenn mich jetzt jemand entdeckt?
    Ich beobachte die Menschen. Ganz unterschiedliche Menschen. Alle haben es heute eilig. Immer wieder schauen sie nervös auf die Uhr. Nur einer, ein Einziger hat es überhaupt nicht eilig. Der steht nun schon seit zwanzig Minuten an der gleichen Stelle. Er wartet nicht in der Schlange, um eine Fahrkarte zu kaufen, er hetzt auch nicht vorbei, um seinen Zug zu erwischen. Nein. Er lehnt an der Wand. Ohne Ge päck. Leicht bekleidet. Ab und zu schaut er sich um. In aller Ruhe. Ohne Hektik.
    Ab und zu streift mich sein Blick. Dann verweilt er einen Moment. Sein Blick hat etwas Sezierendes. Sobald ich diesen Blick erwidere, guckt er weg.
    Weshalb steht er da? Auf wen wartet er? Er ist noch jung. Vielleicht so alt wie ich? Er ist größer, schlank, seine Haare sind lang. Aber nicht gelockt wie meine. Seine Haare sind glatt. Sie hängen ihm bis auf die Schultern. Er fällt auf, dieser junge Mann. Er trägt weiße Jeans. Makellos, wie frisch gefal lener Schnee. Seine schwarzen Schuhe glänzen wie neu. Zu seinen Jeans trägt er ein kariertes Baumwollhemd. Mehr nicht. Keine Jacke.
    Er ist schön. Ich muss einfach immer wieder hinschauen. Er hat feine Gesichtszüge. Gepflegte Hände mit langen Fingern. Am kleinen Finger der rechten Hand trägt er einen breiten Ring. Aus Silber.
    « Sie wünschen?»
    Drei Minuten später hab ich meine Fahrkarten.
    Der Junge steht immer noch am gleichen Platz. Ich muss an ihm vorbeigehen. Uns trennen jetzt noch 50 Zentimeter. Unsere Blicke begegnen sich. Dunkelblaue Augen. Pass auf, Zeno!
    Ich weiß nicht, warum ich nicht sofort in die Mozartstraße zurückgehe. Ich weiß nicht, warum es mich zu den Zeit schriften zieht. Ich weiß nicht, warum er plötzlich neben mir steht. Ich weiß nur, dass mir der Schweiß ausbricht, dass mein Herz wie wahnsinnig klopft und ich wie festgewach sen stehen bleibe. Nein, Zeno!
    Das kann ich in mein Hirn hämmern, aber mein Hirn hat dicht gemacht. Meine Befehle erreichen es nicht. Dann ist er weg, als w ä r er nie gewesen. An der Kasse bezahle ich die «Brigitte» mit dem großen Baste l sonderteil für Weihnachten. Nein, mein Mut hat immer noch nicht gereicht! Aber er reicht, um zu bleiben ...
    Ich schau mir die Postkarten in den Kartenständern an, schlendere an den kleinen Geschäften entlang, an den Imbiss ständen. Die weißen Jeans entdecke ich nicht. Die entdecke ich erst, als ich am Eingang zur Herrentoilette stehe. Er kommt aus der Tür, schaut mir ins Gesicht und sagt nicht besonders freundlich: «Sag bloß, du willst mir Konkurrenz m a

Weitere Kostenlose Bücher