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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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beneide mich nicht. Ein anderes Leben wäre einfacher. Aber ich kann nicht zurück. Es ist wie ein Fluch, der auf mir liegt. Ein Fluch, von dem ich mich nie befreien kann. Als wäre ich blind oder taub. Als wäre ich ein Krüppel.
    Ich bin schwul! Unabänderlich!
    Ich überprüfe meine Finanzen. Wie gut, dass es Sophia gibt. Ich bestelle die zweite Flasche. Leons Hand liegt immer noch auf meiner Hand. Sie tut mir gut. Mir ist inzwischen egal, was sie heute schon alles hinter sich hat...
    «Wie stellst du dir dein Leben vor?», frage ich irgendwann in sein Lächeln hinein.
    «Ich weiß nicht!», sagt er und verliert für keinen Moment seine unbeschwerte Stimmung. «Erst mal mach ich weiter so. Such mir ‘ ne Wohnung. Die Schule sieht mich nicht mehr in diesem Leben. Das ist sicher. Zwölf Jahre sind genug. Und eine Lehre lohnt nicht, glaube ich. Friseur w ä r nicht schlecht, aber ich finde auch andere Jobs, wenn ich will. Es gibt genug Kneipen. Die meisten Modeläden gehören Schwulen. Ich glau be, Geld zu verdienen ist nicht das Problem.»
    «Und Beziehungen?»
    Jetzt lacht er lauter als sonst.
    «Wenn du den Traumprinzen meinst, auf den alle warten, daran glaub ich nicht. Ich werde weiterleben wie bisher. Ich will frei sein. Unabhängig. Bloß keine Verantwortung!»
    «Und du ?»
    Er kneift die Augen zusammen. Sein Mund ein schiefes Grinsen.
    «Ich will Kinder!», sage ich.
    Ja, wenigstens eins. So eine Tochter wie Sophia.
    « Jetzt wirst du endlich mal witzig, Zeno!»
    Er schüttet neuen Sekt nach. Ich zieh ihn mir rein wie Mi ne ralwasser. Was tue ich hier? Was erwarte ich noch von diesem Abend? Was hab ich mit diesem Leon zu tun? Jetzt streicht er sich die Haare aus dem Gesicht, fährt mit der Zunge über seine Lippen, schickt mir einen Blick, seine Hand liegt schwerer jetzt auf meiner Hand. Ich spüre wieder diese Unruhe. Ja, ich spür ihn schon, diesen Faden, der sich spannt, straffer wird ...
    «Was willst du?», sagt er.
    «Dich!», sage ich.
    «Wann?», sagt er.
    « Sofort!»
    Da lacht er. Eine Spur zu laut.
    «Ich tu ’ s nicht umsonst. Niemals!»
    «Wie viel?», sage ich.
    «Kommt drauf an! Es ist abhängig von dem, was du willst.»
    «Ich will alles!», sage ich. Und hab keine Ahnung, was das ist. Alles.
    «Alles kannst du nicht bezahlen!», sagt er.
    Für einen Moment verschwindet sein Lächeln. Er ist seltsam blass hinter seiner Sonnenbräune.
    «Komm mit! Kleines Geschenk. Ich durchbrech meine Prin zi pien!»
    Das bin ich nicht. Das kann ich gar nicht sein. Das will ich nicht sein.
    «Nun komm!»
    Leon steht auf. Mir ist seltsam schwindelig im Kopf. Und doch folge ich ihm. Durch die Kneipe hindurch, einen langen Gang entlang, aufs Männerklo. Mein Herz klopft. Nein, Zeno, schreit die Stimme in mir. Aber sie ist heute nicht überzeugend, wird immer leiser. Bis sie irgendwann ver stummt.
    Der beißende Geruch nimmt mir den Atem. Ich will raus.
    Aber mein Wille versagt. Ich lasse mich in eine Kabine schieben. Leon schließt die Tür. Noch sind wir allein... Die Knöpfe der Hose... Hastig... Ich öffne sie selbst. Leon beugt sich herunter ...
    Ja, ich will es jetzt wissen. Ich muss es wissen. Ich weiß, dass sie es tun. Alle. Ich schalte meinen Kopf aus, bin nur noch Bauch und Geschlecht, ein Vulkan, der ausbricht, eine bunte Rakete, die am Himmel zerplatzt und in tausend Ster nen auf die Erde zurückfällt. Dann Stille. Die Knöpfe ge schlos sen. War es das?
    «Das war mein Geschenk!»
    Es gibt kein Zurück für mich. Das weiß ich sicher. Aber es macht mich nicht froh.
    Keine fünf Minuten später sitzen wir wieder vor unserem Sektkübel. Leon lacht wie immer.
    «Wenigstens jetzt könntest du mal freundlicher gucken. Zur Abwechslung mal lachen, zum Beispiel. Hab dir schließlich gerade ein Geschenk für 70 Mark gemacht!»
    Ich bemühe mich um ein Lächeln. Ich muss mich anstrengen, weil mir überhaupt nicht danach ist.
    «Eins solltest du dir merken! Bloß keine tiefen Gefühle. Das bringt nur Beziehungsstress. Und du fängst an zu leiden. Wozu? Überflüssig, oder?»
    Ich steck mir eine Zigarette an. Wie geht es jetzt weiter? Wie kann es jetzt weitergehen? Ich muss weg. Ich halte es hier nicht mehr aus.
    Morgen hat Sophia Geburtstag. Und ich muss noch blaue Streifen auf den weißen Kragen nähen.
    Ich winke dem Kellner. Unbehaglich, unsicher. Hat er was gemerkt? Aber er lächelt bloß freundlich und schaut Leon dabei besonders lange in die Augen ...
    Ich bin erleichtert, als ich auf der Straße

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